Freitag, 26. Dezember 2008

DESY, CERN, ZEIT und das Black Hole

Das größte Experiment aller Zeiten – und ein Selbstmord
von Andreas von Rétyi
Heute begann im neuen Superbeschleuniger des Schweizer Kernforschungszen-trum CERN ein gigantisches Experiment, um dadurch künstlich in die Anfangs-phase des Universums zurückzublicken und einige der letzten Rätsel der Physik zu lösen. Wie gefährlich ist das Experiment, bei dem winzige Schwarze Löcher und bislang unbekannte Elementarteilchen entstehen könnten?
Könnte der Versuch außer Kontrolle geraten und unsere Welt verschlingen? Aus Angst vor dem Weltuntergang hat sich in Indien bereits ein 16-jähriges Mädchen das Leben genommen!
9.33 Uhr früh im Kernforschungszentrum CERN bei Genf. Die Spannung steht den Forschern ins Gesicht geschrieben. Wie gebannt starren sie auf die Monitore. In der Steuerzentrale sieht es beinahe aus wie bei Star Trek, Computer, wohin das Auge blickt.
Die LCD's zeigen den neuen achteckigen Teilchenbeschleuniger, von dem sich die Physiker Aufschluss über die Urgeheimnisse der Materie erhoffen. Ein Lichtblitz auf dem Monitor!
Der erste Protonenstrahl ist rund drei Kilometer durch eine gigantische, insgesamt 26,7 Kilometer lange Vakuumröhre gerast. Eine knappe Stunde später folgen zwei Lichtblitze.
Geschafft, der Teststrahl ist mit irrwitziger Geschwindigkeit durch die komplette Röhre gezischt.
In den kommenden Wochen wollen die Wissenschaftler hochenergetische Protonenwolken mit annähernd Lichtgeschwindigkeit aufeinander jagen, um dabei so tief in die Vergangenheit des Universums einzudringen, wie nie zuvor.
Sie wollen unbekannte Teilchen und winzige Schwarze Löcher erzeugen, sie suchen Antworten auf einige der letzten Fragen der Physik.
Wahrhaft ein atemberaubendes Kapitel. Mit LHC, dem neuen Large Hadron Collider des CERN soll eine neue Epoche beginnen. Doch einige fürchten vielmehr das Ende der Welt. Könnte das Experiment außer Kontrolle geraten, könnte ein Schwarzes Loch entstehen, das unsere Welt verschlingt? Könnte gar ein künstlicher Urknall zünden?
Aus Angst beging eine 16-Jährige Inderin Selbstmord. Sie hatte einige beunruhigende Fern-sehsendungen gesehen und war danach völlig in Panik geraten. Ihre Angst war so groß, dass sie trotz aller Beruhigungsversuche ihrer Eltern schließlich ein Schädlingsbekämpfungsmittel schluckte. Sie starb im Krankenhaus.
Geht von den für die nächste Zukunft geplanten Experimenten wirklich eine Gefahr für unsere Welt aus, durch ein paar euphorische, ja besessene Wissenschaftler, die drauf und dran sind, unsere Welt in die Luft zu sprengen?
Gegner haben beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg gefordert, die Experimente einzustellen. Der Antrag wurde Ende August abgewiesen.
Jetzt soll allerdings ein juristischer Prozess folgen und wird wohl einige Jahre dauern. Streit-punkt wird sein, ob die LHC-Versuche gegen das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit verstoßen.
Schon länger äußerten immerhin auch einige Theoretiker die Sorge, dass die ständig ansteig-enden Energien, die in Teilchenbeschleunigern eingesetzt werden, irgendwann ausreichen würden, sogar unser gesamtes Universum zu gefährden.
Einem Weltmodell zufolge befindet sich nämlich der Kosmos im Zustand eines "falschen Vakuums", einer metastabilen Situation, die durch genügend Anregungsenergie auf ein niedriges Level absacken, dabei aber "urknallartig" reagieren könnte.
Allerdings nehmen nur wenige Fachleute diese Möglichkeit wirklich ernst. Was geschehen kann, wenn neue Teilchen entstehen, weiß letzten Endes freilich niemand, das geben auch Physiker zu. Doch die Wahrscheinlichkeit eines negativen Effektes ist wahrhaft verschwindend klein. In etwa so gering wie die Wahrscheinlichkeit, dass eine Tasse mit kaltem Kaffee plötzlich die Umge-bungswärme aufsaugt und wieder heiß wird.
Diese Wahrscheinlichkeit besteht zwar, doch das Alter unseres Universums reicht nicht dafür aus, um den Fall real eintreten zu lassen. Zumindest sagt das die Physik, und die kann sich na-türlich irgendwann auch irren. Allerdings müssen wir uns vor anderen, weit wahrscheinlicheren Gefahren vernünftigerweise eher sorgen als vor derartigen Ereignissen. Die Weltpolitik bietet genügend Möglichkeiten für fortgesetztes Gruseln, da muss nicht auch noch das CERN her-halten.
Bedrohlich klingt es allemal, was dort geschieht, und das liegt nicht zuletzt an der Komplexität der Forschungen. Der Außenseiter kann unmöglich verstehen, was da so am Laufen ist. Ein tief unter der Erde liegender Beschleunigerring von gigantischem Ausmaß, tonnenschwere Detek-toren mit mysteriösen Namen wie Atlas, LHCb oder CMS, atomare Teilchen, die auf utopische Geschwindigkeiten beschleunigt werden, unbekannte Schöpfungen durch energiereiche Kollisi-onen, Schwarze Löcher im Monster-Labor.
Eine verwirrende Welt. Die Energie, die eine Ladungseinheit erhält, wenn sie die Spannung von einem Volt im Vakuum durchläuft, nennt sich ein Elektronenvolt, präziser eigentlich ein Elek-tronvolt. Die Teilchen im LHC werden auf sieben Tera-Elektronvolt beschleunigt, das ist Millionen Mal mehr als die bei der medizinischen Strahlentherapie eingesetzten Energien.
Im LHC-Ring rasen Tausende von Protonenwolken mit jeweils hundert Milliarden Einzelteilchen fast lichtschnell durch den Ring und werden dabei von supraleitenden Magneten auf ihrer Bahn gehalten. Die Wolken werden dabei auf Kollisionskurs geführt, jede Sekunde sind sechshundert Millionen Zusammenstöße zu erwarten.
Denn nur bei so vielen Kollisionen dürfte der Nachweis neuer Teilchen gelingen. Und auch die erwarteten Schwarzen Minilöcher und eine vom berühmten Physiker Steven Hawking voraus-gesagte, nach ihm benannte Zerfallsstrahlung könnten dann in Erscheinung treten.
Die Physiker gehen davon aus, dass die Minilöcher nur über eine verschwindend kleine Zeit-spanne, de facto unvorstellbar winzige Sekundenbruchteile existieren, und dann zerfallen. Möglich wären stabile Varianten schon, doch sind sie extrem unwahrscheinlich. Die kleinen Biester würde zwar die Gravitationskonstante um einen potenzierten Milliardenwert anwachsen lassen, doch dauerte es trotzdem eine vergleichbar hohe Zeit in Jahren, bis so ein exotischer Winzling unsere Erde tatsächlich auf einen Zentimeter geschrumpft hätte. Das heißt also für die Praxis: Wiederum würde das Alter des Universums für diesen Vorgang bei weitem nicht aus-reichen. Demnach ist Entwarnung angesagt.
Natürlich, der eine oder andere wird orakeln, man solle nicht blind der Wissenschaftshörigkeit verfallen. Das ist auch gewiss richtig. Wir haben da ja schon so manche »Segnung« erfahren, auf die wir gerne verzichten würden, hätten wir nur die Wahl. Also, gar keine Frage! Nur zwanghaft und ebenso blind in allem eine Gefahr zu wittern, würde den Sturz ins andere Extrem bedeuten. Unser Leben birgt doch wahrlich genügend Gefahren. Um da überhaupt noch einigermaßen leben zu können, sollte man sich wohl nicht auch noch mit höchstwahrscheinlich völlig über-flüssigen Sorgen belasten. Und Panikmache nur um der Panikmache und Sensation willen, wäre schlichtweg unverantwortlich. Das zeigt allein schon das traurige Beispiel von Chayya, jener jungen Inderin, die sich aus Angst vor CERN heute das Leben nahm.
Mittwoch, 10.09.2008
Kategorie: Allgemeines, Wissenschaft
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1 Kommentar:

  1. Aus dem Buch des String Theoretikers Brian Greene

    Der Stoff aus dem der Kosmos ist
    Raum, Zeit und die Beschaffenheit der Wirklichkeit

    Zitat aus Kapitel 13 Das Universum auf einer Bran, S.424


    Das hat bei den Physikern, die auf diesem Feld tätig sind, die Zuversicht geweckt, dass die Stringtheorie im Begriff ist, sich zu einem leistungsfähigen, geschlossenen Theoriegebäude zusammenzufügen - einem Gebäude, das gewiss noch nicht abgeschlossen ist, aber letztlich die innersten Zusammenhänge der Natur mit Beispielloser Klarheit und Vollständigkeit offenbaren wird.

    In jüngerer Zeit gibt es dafür keinen besseren Beleg als die zweite Superstringtheorierevolution – eine Revolution, die unter anderem eine weitere, in der Raumstruktur verborgene Dimension offenbarte, neue Möglichkeiten für experimentelle Tests der String Theorie eröffnete, die Vermutung nahe legte, dass es neben dem Universum noch andere gibt, offenbarte, dass in der nächsten Generation von Hochenergiebeschleunigern möglicherweise Schwarze Löcher erzeugt werden, und zu einer neuen kosmologischen Theorie führte, der zufolge die Zeit und ihr Pfeil sich wie die eleganten Ringe des Saturns unaufhörlich im Kreis bewegen.
    - Brian Greene (Professor für Mathematik und Physik and der Columbia University New York)

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