Samstag, 24. Januar 2009

Obamas erste 100 Stunden glichen einem Tsunami

dpa
Der Tatendrang des neuen Präsidenten könnte bald schon die Große Koalition in Berlin in Schwierigkeiten bringen.
Guantánamo, Abtreibung, Stammzellenforschung: In seinen ersten 100 Stunden im Amt hat US-Präsident Barack Obama die Politik seines Vorgängers fast komplett revidiert. Der Tatendrang des neuen Präsidenten könnte bald schon die Große Koalition in Berlin in Schwierigkeiten bringen.
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Obamas Amtsantritt
Amerika feiert Obama
Samstagnachmittag um 16 Uhr ist Barack Obama seit 100 Stunden im Amt. Seine Töchter Sasha und Malia haben ihre erste Übernachtungseinladung für Freunde gegeben, und ihr Vater hat zweimal den Kraftraum des Weißen Hauses ausprobiert. Obama hat auch die Abläufe im Oval Office verändert. Statt um acht wie bei George W. Bush beginnt die Geheimdienstlage nun erst um viertel nach neun. Obama ist kein Morgenmensch; er braucht Zeit, um sein 1000-Watt-Lächeln anzuschalten. Dafür gibt es nun neben der CIA-Unterrichtung auch eine tägliche Runde zur Wirtschaftslage, mittags um eins.
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Guantánamo-Schließung – Obamas erstes Problem
Barack Obama verirrt sich im Weißen Haus
Aber auf die Arbeitszeiten kommt es weniger an als darauf, was ein Präsident an seinem Arbeitstag tut. Obamas erste 100 Stunden glichen einem kontrollierten Tsunami, der tragende Pfeiler der Politik George W. Bushs zum Einsturz brachte. Obama untersagte Foltermethoden bei Verhören. Er ordnete die sofortige Schließung aller verbliebenen CIA-Geheimlager in Übersee und die Auflösung des Internierungslagers Guantánamo binnen eines Jahres an. Und er telefonierte mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und bekräftigte seinen Willen zu einer engen Zusammenarbeit gegen Klimawandel, Armut und Terrorismus.Der Präsident wies die Aufsichtsbehörde für Arzneimittel an, eine Studie zu Heilungschancen durch embryonale Stammzellen zu genehmigen. Die staatliche Förderung der Genforschung mit Föten hatte Bush 2001 untersagt. Obama hob das Verbot auf, US-Entwicklungshilfe an Staaten zu geben, die Abtreibung unterstützen. Er verbot den Beamten seiner Regierung, als Lobbyist in die Wirtschaft zu wechseln, falls solche Arbeitgeber bei Bundesbehörden um Einfluss werben. Das Verbot gilt für Obamas gesamte Amtszeit. Der Präsident fror die Gehälter der Spitzenbeamten ein. Er befahl den Bundesbehörden, Auskunftsersuchen von Bürgern zügig zu bearbeiten und ordnete an, dass das Nationalarchiv großzügig Einsicht in die Akten früherer Präsidenten gewährt.
Wesentlich am Kurswechsel beteiligt ist das „Büro für Rechtsfragen“ im Justizministerium. Seit Dienstag steht es unter der Leitung einer linksliberalen Professorin. Es prüft, ob Regierungshandeln rechtskonform ist. Das Ergebnis bindet alle Minister, Zuwiderhandlung ist strafbar, nur der Oberste Gerichtshof kann das Urteil ändern. Das „Büro für Rechtsfragen“ ist eine Schaltstelle, für deren Macht es in Deutschland kein Gegenstück gibt. Mit solcher Autorität hatte es unter Bush die CIA-Verhörmethoden für rechtens erklärt und Widerstand dagegen erstickt. Obama hat nun den Rücken frei.
Mit den meisten seiner ersten Erlasse nahm er Maßnahmen Bushs zurück, gegen die vor allem junge Aktivisten Sturm gelaufen waren. CIA-Verhöre, Abtreibung, Stammzellforschung und Dokumenteneinsicht zählten zu deren Erregungsthemen. Obama möchte die Aktivisten für den Kongresswahlkampf 2010 bei der Stange halten. Seine gewaltige Wahlkampforganisation wurde von ihnen getragen.
Letzte Woche hat Obama diese Organisation mit der Demokratischen Partei verschmolzen. Das war keine Zwangsmitgliedschaft, es gibt in den USA keine Parteibücher. Der Schritt bedeutet vielmehr, dass seine junge, engagierte Gefolgschaft nächstes Jahr auch für die demokratischen Abgeordneten ausschwärmt. Obama steigert damit seinen Einfluss in der Fraktion dramatisch. Das wird ihm helfen, Gesetze durchzudrücken, die auf Widerstand stoßen.
Der Obama-Tsunami wird bald auch Berlin erreichen. Bei einem Auftritt im Außenministerium kündigte der Präsident am Freitag an, Afghanistan zu einem Schwerpunkt seiner Politik zu machen. „Schwere Zeiten liegen vor uns. So wie wir von uns mehr verlangen, so suchen wir neue Partnerschaften und verlangen mehr von unseren Freunden und den Völkern der Welt.“ Das könnte der Koalition im Wahljahr zu schaffen machen. Amerika, sagte Obama, „wird Dahindriften oder Hinauszögern nicht länger tolerieren.“ Er ließ durchblicken, dass er auch auf zivile Projekte setze. Aber „die Welt muss begreifen, dass die USA Terroristen gnadenlos jagen wird.“ Zur selben Zeit schlugen in Westpakistan Raketen ein. Den Angriff auf zwei Al-Qaida-Ziele hatte Obama genehmigt.
Die US-Presse begehrte derweil gegen angebliche Geheimnistuerei des Weißen Hauses auf. 100 Stunden war Obama Präsident, aber noch kein einziges Mal hat er die Medien ins Oval Office gelassen. Als er Donnerstag den Amtseid wiederholte, weil es am Dienstag zu Versprechern gekommen war, durfte nur Obamas Fotograf dabei sein. Prompt weigerten sich die Bildagenturen, das Foto zu verwenden. Der neue Sprecher des Weißen Hauses musste sich beim ersten Auftritt harsche Fragen anhören.
Auch der neue Sprecher des Außenministeriums hatte bei seiner ersten Pressekonferenz kein Glück. Er sagte, Hillary Clinton habe mit ihrem Prager Kollegen telefoniert, „denn die Tschechoslowakei hat ja den EU-Vorsitz inne“. Den Hinweis auf deren Ableben vor 16 Jahren quittierte er mit: „Entschuldigung, Tschechische Republik. So was kommt halt vor.“ Condoleezza Rices Sprecher wäre in der Luft zerrissen worden.
Zudem stellte sich heraus, dass das Quartett mit dem Cellisten Yo Yo Ma seinen Auftritt bei Obamas Amtseinführung nur gemimt hatte. Die Musik stammte von einem Tonband. Bei den Minusgraden hätten die empfindlichen Instrumente nicht bespielt werden können. Unter Obamas Vorgänger hätte es geheißen: Das Konzert war eine Irreführung der Weltöffentlichkeit, so wie der Plastiktruthahn, den Bush am Erntedankfest 2003 Soldaten in Bagdad serviert hatte. Aber Barack Obama hat 100 Tage Schonfrist, und davon sind erst 100 Stunden um.
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 13:44 Uhr


Papst Benedikt XVI. rehabilitiert Holocaust-Leugner
Wiederholt hat der ehemalige Bischof Richard Williamson das volle Ausmaß des Völkermordes an den Juden geleugnet. Zuletzt sagte er im schwedischen Fernsehen: "Ich glaube, dass es keine Gaskammern gegeben hat." Papst Benedikt XVI. rehabilitierte den Briten nun – trotz Protesten jüdischer Organisationen.
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Der Papst in Australien
Papst Benedikt XVI. in den USA
Williamson ist einer von vier Anhängern des gestorbenen traditionalistischen Erzbischofs Marcel Lefebvre, die vor 21 Jahren exkommuniziert wurden. Papst Benedikt XVI. machte heute die Exkommunikation rückgängig. Dabei setzt er die Versöhnung mit dem Judentum erneut aufs Spiel. Bereits die Neufassung der Fürbitte für die Juden in der von ihm 2007 wieder rehabilitierten alten lateinischen Messe sorgte für Spannungen. Denn darin war die Bitte um Bekehrung der Juden weiterhin enthalten. Die Traditionalisten aber hielten bislang an der alten, nicht entschärften Fassung der Fürbitte fest, die für Juden noch beleidigender ist.
Zudem läuft in Regensburg seit wenigen Tagen ein Ermittlungsverfahren gegen den Briten Richard Williamson. Er soll beim Besuch eines bayerischen Priesterseminars den Holocaust geleugnet haben. Er hat bereits zuvor das volle Ausmaß des Völkermords an den Juden während des Nationalsozialismus bestritten. So hatte er zuletzt am Mittwoch im schwedischen Fernsehen gesagt: „Ich glaube, dass es keine Gaskammern gegeben hat.“ Zudem behauptete er, in den deutschen Konzentrationslagern seien nicht sechs Millionen Juden getötet worden, sondern lediglich bis zu 300.000.
"Eine tiefe Wunde"
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Der Papst und der Vorwurf der Homophobie
Benedikt XVI. fordert Reform des Weltfinanzsystems
Warum der Vatikan Männer vor der Pille warnt
Papst will rebellische Bischöfe versöhnen
Roms Chefrabbiner befürchtete, die Rehabilitation Williamsons werde „eine tiefe Wunde“ aufreißen. Die Dachorganisation der jüdischen Organisationen in Frankreich nannte Williamson einen „abscheulichen Lügner, dessen einziges Ziel es ist, den jahrhundertealten Hass gegen Juden zu schüren.“
In Israel war vor knapp zwei Wochen der Vergleich des Gazastreifens mit einem Konzentrationslager durch einen hochrangigen Papst-Berater auf scharfe Kritik gestoßen. Kardinal Renato Martino hatte in einem Interview gesagt: „Es ist immer die schutzlose Bevölkerung, die den Preis bezahlt. Schauen wir uns die Lebensbedingungen im Gazastreifen einmal an: Das ähnelt immer mehr einem riesigen Konzentrationslager.“ Ein Sprecher des Außenministeriums in Jerusalem erklärte daraufhin, das Vokabular Martinos sei schockierend und gleiche der Propaganda der radikal-islamischen Hamas.
Das spirituelle Unbehagen des Papstes
In dem heute veröffentlichten Dekret des Vatikans heißt es, Benedikt habe beschlossen, die kirchenrechtliche Situation der Bischöfe zu überdenken, weil er ihrem „spirituellen Unbehagen“ wegen der Strafe der Exkommunikation mit väterlicher Einfühlsamkeit begegne. Der Vatikan wolle die Einheit der Universalkirche fördern und damit den „Skandal der Spaltung“ überwinden. Der Papst glaube an die schriftliche Zusage der Traditionalisten, mit dem Heiligen Stuhl ernsthaft über Differenzen reden zu wollen.
Im Jahr 1988 war eine Einigung zwischen der Priesterbruderschaft Pius X. und dem damaligen Kurienkardinal Joseph Ratzinger geplatzt. Der „Dissident“ Lefebvre weihte trotz der Warnungen des Vatikans vier Priester zu Bischöfen. Daraufhin wurden Lefebvre und die Geweihten exkommuniziert. In den vergangenen Jahren hatte Bernard Fellay, einer der Geweihten und der Leiter der Bruderschaft, den zuständigen Kardinal Dario Castrillón Hoyos mehrfach gebeten, die Exkommunikation zurückzunehmen. Bei einer Einigung könnte die Bruderschaft den Status einer Personalprälatur ähnlich dem Opus Dei erhalten, hieß es damals.
Die Traditionalisten hatten im Juli 2008 auf ein „Ultimatum“ des Vatikans ihre Vorstellungen eines Dialogs erläutert. Sie sahen eine Rücknahme der Exkommunikation als günstig für eine Wiederannäherung an. Rom hatte von ihnen eine „der Großherzigkeit des Papstes entsprechende Antwort“ angemahnt. Sie sollten sich kein „über dem Heiligen Vater“ stehendes Lehramt anmaßen oder sich als gegen die Kirche gerichtet darstellen, hieß es vom Vatikan.
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 13:54 Uhr


Kita-Mörder trug Beil und kugelsichere Weste

dpa
Ein Amokläufer hat in einer Kindertagesstätte Kleinkinder attackiert.
Zwei Babys im Alter von sechs und neun Monaten und eine Erzieherin erstach der 20-jährige Attentäter Kim D. in der Kinderkrippe "Märchenland". Drei Psychater sollen nun das Motiv klären, denn der Täter schweigt. Offenbar hatte er die Tat lange vorher geplant. Und bei seiner Festnahme trug er eine kugelsichere Weste.
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Amoklauf im Kinderhort
Nach dem blutigen Gemetzel in einer Kinderkrippe der belgischen Stadt Dendermonde sollen nun drei Psychiater die Motive des Täters ergründen. Dies sagte Staatsanwalt Christian Du Four. Der 20 Jahre alte Kim D., der kurz nach der Tat festgenommen worden war, schweige über die Gründe für sein Handeln. Er war am Freitag schwer bewaffnet in eine Kindertagesstätte eingedrungen und hatte dort auf die Kleinkinder - Höchstalter drei Jahre – eingestochen. Zwei Jungen unter zwei Jahren und eine 54 Jahre alte Erzieherin wurden getötet. Von zwölf Verletzten konnten fünf die Krankenhaus verlassen, alle anderen sind inzwischen ebenfalls außer Lebensgefahr.
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Studentin vor den Augen mehrerer Zeugen geköpft
Mann tötet Kinder und Betreuer bei Amoklauf
Der Kita-Mörder hatte es auf die Babys abgesehen
Bei dem Täter handele es sich um einen alleinwohnenden Arbeitslosen aus dem Ort Sinaai, zwölf Kilometer nördlich von Dendermonde. Der Mann habe bei seiner Festnahme eine kugelsichere Weste getragen sowie im Rucksack ein Messer, ein Beil und eine täuschend echt aussehende Spielzeugpistole gehabt. Im Kindergarten seien zwei weitere Messer gefunden worden, die ihm gehörten. „Aus dem Ablauf der Tat und den Waffen, die er bei sich trug, geht hervor, dass er alles geplant hatte“, sagte der Staatsanwalt. Entgegen anderslautenden Medienberichten habe der Täter aber keinen Plan von anderen Kindergärten bei sich getragen, die er auch noch heimsuchen wollte.
Ein Untersuchungsrichter hatte in der Nacht Haftbefehl wegen dreifachen Mordes und mehrfachen Mordversuchs erlassen. Du Four sagte, der junge Mann habe kein Geständnis abgelegt, sei aber von Zeugen einwandfrei identifiziert worden. Er habe „keine psychiatrische Vorgeschichte“ und habe vor der Tat auch weder Drogen noch Alkohol konsumiert.
Der Mann, der sich das Gesicht weiß und die Augenhöhlen schwarz geschminkt hatte, habe sich – weil der Haupteingang des Kindergartens verschlossen gewesen war – durch einen Nebeneingang Zutritt zu dem Gebäude verschafft, in dem sich zur Tatzeit 18 Kinder befanden. Von den Verletzten sei niemand mehr in Lebensgefahr, sagte der Bürgermeister von Dendermonde, Piet Buyse. Vier Kinder und ein Erwachsener seien aus den Kliniken entlassen worden. Lediglich ein Kind befand sich noch auf der Intensivstation.
Am Samstag herrschte in Belgien weiter Entsetzen über die Bluttat. „Schlaft sanft, kleine Englein“, stand auf einer von zahlreichen Karten, die trauernde Menschen vor dem Eingang der Kinderkrippe „Märchenland“ niederlegten – zusammen mit Dutzenden von Plüschtieren. „Niemand kann verstehen, wie jemand so etwas tun kann“, sagte Marianne van Cakenberg, eine von Hunderten Trauernden. Im Rathaus der Stadt lag eine Kondolenzliste aus, in die sich während des gesamten Samstags Menschen eintrugen.
Das schreckliche Verbrechen beherrschte auch die Kommentare der belgischen Zeitungen. „Wir müssen mit der Erkenntnis leben, dass wir unsere Kinder nicht vollständig schützen können. Eine Erkenntnis, die fast nicht zu ertragen ist“, schrieb „De Standaard“. Das Blatt „De Morgen“ meinte: „Konnte man dieses Drama verhindern? Ja, indem man vor jede Kinderkrippe eine Handvoll Polizisten stellt. Aber wer möchte sein Kind noch in solch eine Krippe bringen?“ „Flandern hat seine Unschuld verloren“, schrieb „Het Laatste Nieuws“. „Aber was macht jemanden so wahnsinnig, dass er sich an den Kleinsten vergreift?“
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 13:23 Uhr


"Moderner Rassismus findet im Internet statt"Rechtsextreme Szene missbraucht Web-Communitys für Propaganda

jugendschutz.net dokumentiert rechtsextreme Videos und Profile (Foto: http://www.jugendschutz.net)London/Mainz (pte/24.01.2009/06:05) - Der neuerliche Eklat um den britischen Prinzen Harry und dessen rassistische Äußerungen hat in Großbritannien eine heftige Diskussion um die Verbreitung von nationalsozialistischem und fremdenfeindlichem Gedankengut in der Öffentlichkeit ausgelöst. Im Zentrum des Interesses steht dabei vor allem das Internet. So haben Mitarbeiter der Zeitung Guardian vor kurzem eine Reihe von "extremen und beleidigenden" User-Kommentaren im sozialen Online-Netzwerk Facebook ausfindig gemacht. Die engagierten Aufdecker verfassten daraufhin ein Dossier an die Equality and Human Rights Commission http://www.equalityhumanrights.com, das diese über die Brisanz der Rechtsextremismus-Problematik im Web aufklären soll. "Die moderne Form des Rassismus findet heute im Internet statt. Dieses Medium wird von der rechtsextreme Szene mittlerweile besonders stark für eigene Propagandazwecke missbraucht", stellt Michael Wörner-Schappert, Mitarbeiter am Rechtsextremismusprojekt bei jugendschutz.net http://www.jugendschutz.net, im pressetext-Interview fest.
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Die rechtsextreme Bewegung nutze das Web sehr ausgiebig für ihre Zwecke. "Vordergründig geht es dabei meistens darum, Werbung für die eigene Sache zu machen oder sich untereinander zu vernetzen", erklärt Wörner-Schappert. Letztgenannter Aspekt werde natürlich durch die weiterentwickelten technischen Möglichkeiten im Web-2.0-Zeitalter wesentlich erleichtert. "Insbesondere soziale Netzwerke werden von der rechtsextremen Szene gerne als Plattform missbraucht, um miteinander in Kontakt zu treten oder rassistische Inhalte einzustellen. Von diesem Problem sind heute alle Web-Communitys betroffen", betont Wörner-Schappert. Ähnlich gestalte sich die Situation derzeit auch bei Video-Plattformen. "Ausschlaggebend hierfür zeichnen sich vor allem Faktoren wie Nutzerfrequenz und Verbreitungsgrad, die bei derartigen Online-Angeboten in der Regel besonders hoch sind", merkt Wörner-Schappert an. Die Möglichkeiten, wie gegen rassistische Inhalte im Internet vorgegangen werden kann, seien vielfältig. "Das Prozedere ist stark vom jeweiligen Anbieter abhängig, der über seinen Webauftritt unerwünschte Inhalte öffentlich zugänglich macht. In vielen Communitys wird derartiger Content nicht geduldet und sofort gelöscht", schildert Wörner-Schappert. Einige Seiten wie das Videoportal YouTube würden Nutzern zudem die Möglichkeit bieten, ungeeignete Inhalte zu melden. "Trotz all dieser Maßnahmen taucht in Web 2.0-Plattformen immer wieder rechtsextremes Material auf. Der Grund hierfür ist hauptsächlich in der enormen Masse der von Usern eingestellten Inhalte zu sehen, die eine vollständige Überprüfung zu einer besonderen Herausforderung macht", beschreibt der Rechtsextremismus-Experte die Problematik. "Wichtig ist, dass alle Beteiligten - Provider, zuständige Stellen aber auch Communitys und einzelne User - ihren Teil der Verantwortung übernehmen und sich gemeinsam gegen den Missbrauch des Internets durch Rechtsextreme stemmen", ist Wörner-Schappert überzeugt. Insgesamt dokumentierte jugendschutz.net 2007 mehr als 750 rechtsextreme Videos und Profile im Web 2.0. Die Gesamtzahl der kontrollierten Webseiten erreichte mit 1.635 einen Höchststand seit Beginn der Recherchen im Jahr 2000. Dabei ist insbesondere die Zahl der Angebote von NPD und rechtsextremen Kameradschaften mit über 30 Prozent stark angestiegen. "Unsere Aufgabe ist es, solche Angebote im Web zu beobachten und uns dafür einzusetzen, dass sie aus dem Netz verschwinden. In vier von fünf Fällen sind wir dabei erfolgreich", so Wörner-Schappert abschließend. (Ende)
Aussender: pressetext.deutschlandRedakteur: Markus Steiner email: steiner@pressetext.com Tel. +43-1-81140-317


... Du weißt, Du lebst in der falschen Welt wenn Du dir Sorgen um sie machst ... Und nur Hohn und Spott erntest! Ojeee ...


Die Lust am diffamieren - wie Thea Dorn im SPIEGEL zu Unrecht besorgte Menschen pauschal zu Weltuntergangspropheten abstempelt drucken 12. Januar 2009, von T. Engelbrecht
Theodor W. Adorno schrieb einst: „Solange es Zug um Zug weitergeht, ist die Katastrophe perpetuiert.“ Dieser kritische Geist war es, der viele dazu veranlasste, sich in den Sechsziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts kritisch zum Gesellschaftssystem in Westdeutschland und im Westen überhaupt sowie zu dessen Auswirkungen auf die ganze Welt zu äußern. Doch von bestimmter Seite schallte es ihnen nur pauschal entgegen: “Dann geh doch einfach nach drüben”, sprich in die DDR; und oft kam auch noch ein die Schicksalhaftigkeit des Daseins bemühendes “der Mensch ist ohnehin nicht zu ändern” hinterher. Natürlich fühlte man sich ungerecht behandelt, und zu Recht. Denn man wurde einfach weggebürstet von Leuten, die man in seiner Verdutztheit “Spießer” schimpfte und die sich dadurch auszeichneten, dass sie nicht in der Lage waren, differenziert zu denken bzw. genau hinzuschauen und auch nur die leiseste Kritik an den westlichen und damit ihren Lebensstil heran zu lassen.
Thea Dorn lästert an den Fakten vorbeiEin deja-vu-Erlebnis dieser Art hat man, wenn man sich Anfang 2009 den SPIEGEL-Essay “Lust an der Apokalypse - was hinter der Katastrophenrhetorik steckt” antut, der an den Fakten vorbeilästert und sich dabei auch in Widersprüche verstrickt (siehe Ausriss). So werden darin diejenigen, die sich um die Folgen der aktuellen weltweiten Finanzkrise oder um das Klima oder auch wegen des weltweiten Bevölkerungswachstums große Sorgen machen, in der Geh-doch-nach-drüben-Manier pauschal als „Apokalyptiker, die alle fünf Minuten den nächsten Weltuntergang herbeiphantasieren“, abqualifiziert. Doch die Attacke der Autorin Thea Dorn reitet argumentativ ins Leere, denn bei weitem nicht alle angesprochenen Mahner sind automatisch Weltuntergangspropheten.
Darüber hinaus sucht Dorn die Sorgen, die Menschen in der heutigen Zeit umtreibt und die sich auf wissenschaftliche Daten stützen, ins Lächerliche zu ziehen - und zwar dadurch, dass sie die Sorgen einfach auf eine Stufe stellt mit solchen aus abergläubischer Vorzeit, etwa mit der in der Bibel erwähnten Furcht vor einem Weltenbrand oder der im Mittelalter vorherrschenden Angst, „von einem Kometen ausgelöscht zu werden. Doch dieser Vergleich wirkt schlicht feindselig und hinkt, weil nicht zu erkennen ist, dass sich die Autorin wirklich mit den Argumenten derjenigen, die sich um die Folgen der Finanzkrise, das Klima etc. Sorgen machen, wissenschaftlich-argumentativ auseinandergesetzt hat. Daher drängt sich der Eindruck auf, dass Dorns Essay „Die Lust an der Apokalypse“ aus einer Lust an der Diffamierung erwachsen ist.
Zumal es am Ende des Essays zu allem Überfluss auch noch heißt: “Der Mensch ist aus krummem Holz gemacht. Jeder Versuch, aus ihm etwas gänzlich Gerades zu zimmern, hat bislang nur einen Ort erschaffen: die Hölle auf Erden.” Ein Satz, der an dieses “der Mensch ist ja doch nicht zu ändern” erinnert und der nicht nur deshalb aufstößt, weil er sich so anhört, als stamme er aus abergläubischer Vorzeit. Auch geht es den Mahnern, die mit dem Essay adressiert werden sollen, nicht primär darum, den Mensch auf Mikrokosmosebene „gerade zu machen“, sondern vielmehr darum, Kräfte zu mobilisieren, um die Gesellschaftssysteme so zu gestalten, dass es den einzelnen Mensch möglich wird, in den Gesellschaften „gänzlich gerade“ zu gehen, sprich friedvoll und ohne Hunger und Zukunftsangst miteinander zu leben.
Auch NYT-Kolumnist Thomas Friedman, den Dorn zuerst herunterputzt, ist kein “Weltuntergangsherbeiphantasierer”Auch Thomas Friedman, Wirtschaftsfeuilletonist der New York Times, dessen Zeitungskommentar zur Finanzkrise den Aufhänger für den SPIEGEL-Essay bildet, ist keiner von denen, die „alle fünf Minuten den nächsten Weltuntergang herbeiphantasieren“, wie Dorn bissig behauptet…. Denn Friedman hat in seinem Kommentar lediglich beschrieben, wie er zuletzt in Restaurants gegangen sei und dabei das Bedürfnis gehabt hätte, den vielen jungen Leuten dort folgendes mitzuteilen: „Sie kennen mich nicht, aber ich muss ihnen sagen, Sie sollten hier nicht sein. Sie sollten ihr Geld sparen. Sie sollten ihren Thunfisch zu Hause essen. Diese Finanzkrise ist noch nicht vorbei.“
Man muss hier mit Friedman nicht in Gänze mitgehen, aber dass er damit in “atemberaubend unverantwortlicher” Weise den „apokalyptischen Harlekin“ geben soll, wie die gut situierte Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin Dorn tönt, ist beim besten Willen nicht zu erkennen. Nicht zuletzt, wenn man sich vor Augen führt, dass zum Beispiel das Haushaltsdefizit in den USA 2009 voraussichtlich bei knapp 1,2 Billionen US-$ liegen wird - und damit doppelt so hoch wie 2008.
Wo war der SPIEGEL als rechtzeitiger Warner vor dem Finanzcrash?Anstatt also berechtigte Zukunftsängste von Menschen zur „aggressive Prophetitis“ zu verklären, hätte Dorn vielleicht besser einen Essay darüber verfasst, warum der SPIEGEL nicht in in angemessener Weise als Mahner und Warner aufgetreten ist, lange bevor die Welt in die Finanzkrise gestürzt ist. Das hätte man durchaus von einem Medium wie dem SPIEGEL erwarten können. Zumal die Informationen dafür leicht zugänglich waren, etwa in Form des Buches „Der Crash kommt“ von dem Wirtschaftsprofessor Max Otte, das 2006 erschien und bereits damals dem SPIEGEL vorgelegen haben soll (siehe auch Titelgeschichte der Medienfachzeitschrift message “Das böse Erwachen - warum die Medien die Wirtschaftkrise verschliefen”).
Man muss differnzieren und genau schauen, welche Mächte die Angstmacherei betreibenSicher, nicht alles, was in der neueren Menschheitsgeschichte begründet als Gefahr heraufbeschworen wurde, trat später auch ein. Ein Beispiel hierfür ist die Vogelgrippe, bei der ja die Gefahr einer weltumspannenden Pandemie besungen wurde. Dorn erwähnt die Vogelgrippe auch in ihrem Essay als Beispiel für übertriebene Angstmacherei. Das Problem ist nur, dass der SPIEGEL selber kräftig im Vogelgrippe-Panik-Chor mitgesungen hat - wo aber war 2005/2006 Thea Dorns kritischer SPIEGEL-Essay dazu - zumal es ja auch hier kritische Stimmen zur Panikmache gab?
Darüber hinaus muss man differenzieren und genau schauen, welche Mächte hinter der Angstmacherei am Werk sind. So ist das Phänomen, dass die Vogelgrippe von der Pharmaindustrie im Verbund der Politik und den Medien zur drohenden Pandemie aufgebauscht wurde, sicher anders einzuschätzen ist als etwa der Einsatz von Menschen für eine Erde ohne Hunger. Auch nennt Dorn das Beispiel von der Angst nach dem zweiten Weltkrieg vor einem weltumspannenden Nuklearkrieg. Doch es ist absurd, wie es die SPIEGEL-Essayistin mit Wucht tut, den Warnern vor einem solchen Nuklearkrieg „aggressive Prophetitis“ und pure „Lust an der Apokalypse“ vorzuwerfen, nur weil wir einen solchen apoaklyptischen Nuklearkrieg noch nicht erlebt haben - nicht zuletzt, weil es ja gerade auch die Warner waren, die maßgeblich dazu beitrugen, dass es zum Glück eben noch nicht zu einem solchen Nuklearkrieg gekommen ist.
Das Geschäft mit der Beschwichtigung und seine FolgenDarüber hinaus gibt es ja neben Professor Max Otte zahlreiche weitere Beispiele aus der Geschichte der Menschheit, in denen die warnenden Stimmen völlig zu Unrecht einfach weggebürstet und dabei auch lächerlich gemacht wurden. Genannt sei hier etwa Kurt Tucholsky, der die drohende Gefahr des Faschismus frühzeitig kommen gesehen und vor dem Marsch ins Dritte Reich gewarnt hatte. Doch seine Mementos trafen tragischerweise weithin auf stumme Ohren. Oder denken wir daran, wie die Warnungen vor den Gefahren des Rauchens oder dem Schwermetall Blei jahrzehntelang heruntergespielt wurden.
Dorn schreibt, dass “das Geschäft mit der Angst das in Wahrheit älteste Gewerbe der Welt sein dürfte” - doch in ihrer Einäugigkeit - die sie übrigens den angeblichen Weltuntergansphantasierern vorhält - übersieht sie, dass das Geschäft mit der Beschwichtigung und Verharmlosung mindestens genau so alt sein dürfte (und dass es verheerende Konsequenzen haben kann)…
Thea Dorn verwendet den Begriff “Apokalypse” in zweischneidiger FormMan könnte zwar meinen, dass die genannten Vergleiche hinkt, wo etwa Tucholsky ja nicht im strengen Wortsinne vor einem Weltuntergang gewarnt hat. Doch ein solcher Einwand würde nicht ziehen, nicht zuletzt weil Dorn zwar mit dem Titel ihres Essays “Lust an der Apokalypse” eigentlich die Lust an der Prophezeiung des Weltuntergangs meint, den Begriff „Apokalypse“ im Text aber nicht kosequent im Sinne von „Weltuntergang“ verwendet. So benutzt sie ihn auch in ganz allgemeiner Form, nämlich um all diejenigen, die das heutige Wirtschaftssystem ob seiner „billigen Plastikkultur“ und seines „Konsumismus“ kritisch gegenüberstehen, abzukanzeln.
Doch bei weitem nicht alle „guten Menschen“, wie Dorn die Kritiker ironisch-abfällig nennt, schreien den Weltuntergang herbei – und auch wollen sie nicht alle, wie Dorn unterstellt, „unserer Gesellschaft die totale Revision verordnen“. So geht es den Live-8-Aktivisten, die die Autorin in ihrem Essay als Beispiel für solche „guten Menschen“ erwähnt, vor allem um die Abschaffung des Hungers auf der Welt. Doch weder stilisieren die Live-8-Aktivisten den Hunger zu einem Weltuntergang, noch fordern sie zur Bekämpfung des Hungers eine gesellschaftliche Totalrevision.
Viele Apokalypsen sind längst daOhne Frage, die Apokalypse ist nicht erst da, wenn jemand per Knopfdruck die Erde in die Luft gesprengt hat – so wie Charlton Heston am Ende des zweiten Teils des Films „Planet der Affen“. Ein beredtes Zeugnis dafür ist der Film mit dem sinnigen Titel „Apokalypse now“, der von den Wirren des Vietman-Kriegs handelt und auf beeindruckende Weise zeigt, dass sich Apokalypsen in der heutigen Zeit zuhauf gerade auch auf individueller Ebene abspielen – ob nun als Soldat in Vietnam- oder sonst einem Krieg, ob als einer der 35.000 Menschen, die täglich an den Folgen von Hunger sterben sollen, ob als eine der unzähligen Kinderprostituierten auf dieser Erde oder als Orang-Utan, dem auf Borneo im wahrsten Sinne des Wortes der Lebensraum unter den Füßen weggesägt wird. All dies sind auch Folgen der Kultur, so wie wir sie uns eingerichtet haben.
Daher wirkt es deplaziert, wenn Dorn diejenigen, die ihr Herz und ihre Lebensenergie dafür einsetzen, dass sich an diesen gesellschaftlichen Zuständen etwas bessert, als „unbarmherzige Levitenleser“ heruntermacht – und dann auch noch die nicht weniger diffamierenden Äußerungen hinterher schiebt, sie würden alle mit “Ekel” auf die Gesellschaft blicken und wohl von einem „Freudschen Todestrieb“ geleitet.
Wennn die Opposition gegen den Status Quo nicht mehr Wurzeln schlagen kannThea Dorn hätte wohl auch den eingangs erwähnten Theodor W. Adorno, wenn er denn noch leben würde, als „atemberaubend unverantwortlichen“ Weltuntergangspropheten heruntergebürstet. Nun, vielleicht hat Dorn einfach den „totalen Frieden“ mit der hoch industrialisierten Zivilisation gemacht und sieht von diesem Blickwinkel aus in jedem besorgten Kritiker einen Weltuntergangspropheten, der die „totale Revision“ der Gesellschaft wolle. Ursache hierfür könnte sein, dass, um mit Herbert Marcuse zu reden, die „innere Dimension” ihres “Geistes bereits derart beschnitten wurde, dass dort eine Opposition gegen den Status quo nicht mehr Wurzeln schlagen kann“. drucken
12 Kommentare zu “Die Lust am diffamieren - wie Thea Dorn im SPIEGEL zu Unrecht besorgte Menschen pauschal zu Weltuntergangspropheten abstempelt”
Lars sagt: 12. Januar 2009 um 11:17
Hallo! Habe die Site gerade erst entdekt. Finde ich super, das zu machen.
Die schreibst natürlich Quatsch, die Dorn. Aber von denen habe ich nix anderes erwartet. Liegenlassen am Büdchen, sag ich! Oder was schlagt ihr vor?
Zu Thorsten: Was ist denn DEIN Problem, ey?
ela sagt: 12. Januar 2009 um 11:28
Sehr guter Artikel!
Ich war auch besorgt, als ich den Essay von Frau Dorn gelesen habe. Ich finde, die Dame sollte mal eine Weltreise machen und sich die ganzen Krisengebiete dieser Erde anschauen inkl. Besuch des Urwaldes in Lateinamerika und Asien.
Ich bin mir sicher, dass sie nach ihrer Rückkehr nicht mehr in der Lage wäre, so einen Text zu schreiben, der so realitätsfern ist und ziemlich gewollt versucht, Menschen zu kritisieren, die sich für die Erhaltung unserer Erde unter besseren Lebensbedingungen einsetzen.
Grüße
Dirk sagt: 12. Januar 2009 um 13:41
“Lust an der Apokalypse - was hinter der Katastrophenrhetorik steckt”, halte ich unter psychologischen Gesichtspunkten für durchaus diskutabel.Machen wir uns nichts vor: Mit den Ängsten der Menschen kann man trefflich Politik betreiben und noch trefflicher Geld verdienen. War es in früheren Zeiten das Fegefeuer und diverse Plagen, die die Menschen in den Ablasshandel und die Gottesfürchtigkeit trieb, sind es heute Botschaften von der kommenden Klimakatastrophe, dem Waldsterben, dem Ozon-Loch, dem atomaren Inferno und andere Szenerien, die allesamt einem vergleichbaren Strickmuster folgen. Zahle, bringe Deinen Beitrag und du bist gut. Wer sich verweigert und in Frage stellt ist schuldig und gehört entsprechend angeprangert und gesellschaftlich isoliert.Es geht gar nicht mehr um die inhaltliche Auseinandersetzung mit den möglichen Bedrohungen. Populär ist, wer die größtmögliche Übersteigerung einer verbreiteten Bedrohung präsentiert, konsequenterweise natürlich auch noch einen hypothetischen Lösungsansatz präsentiert, der nüchtern betrachtet in keinster Weise die aufgezeigte Apokalypse zu verhindern weiß.Der Mensch ergeht sich in seinen Ängsten und wird medial bestens bedient. Von dieser Mischung leben Heerscharen von Psychologen, ganze Industriezweige der Pharma-Industrie und nun hat auch der Rest der Wirtschaft begriffen, wie man damit Geld verdienen kann. Der Staat bereitet mit seiner Gesetzgebung den Boden für einen nie versiegenden Geldfluss und wer clever genug ist, bekommt seinen Teil vom Kuchen ab.Niemand kommt bisher auf die Idee, die in der Vergangenheit prognostizierten Katastrophen und deren Ausbleiben zum Anlass zu nehmen, sich kritisch mit der grundsätzlichen Aufrichtigkeit der Propheten zu befassen, den schnellstmöglich wird eine Sau nach der anderen durchs Dorf gejagt.Es lebe die Katastrophe. Der Kern aller Diskussionen wird allerdings vornehm verschwiegen. Die Frage, was denn wäre, wenn der Mensch nicht auf Erden existieren würde, wird derzeit nur von ökologischen Extremisten diskutiert. Aber das wird sich sicher auch noch ändern. Schließlich ist es die menschliche Existenz an sich, die der zentrale Grund allen Übels ist.
onkel.ulli sagt: 12. Januar 2009 um 14:22
Es wird immer Menschen geben, die sich als Hütchenspieler für die ganzen Springers, Jahrs, Bertelsmänner und Mohns prostituieren. Laßt uns einander helfen, wie es dieser blog tut, sie einfach frühzeitig zu erkennen.Viele Grüße und weiter so
Phil sagt: 12. Januar 2009 um 15:12
Ich habe die Seite auch erst vor kurzem entdeckt und ich finde es sehr gut, dass es nun auch etwas Äquivalentes zum Bildblog für den SPIEGEL gibt. Vor allem dass die Artikel hier nicht nur auf Recherchefehler, sondern auch auf “moralische Missstände” aufmerksam machen.
Gerade in einer Zeit, in der der Spiegel mit seinem Portal SpiegelONLINE mit einer Besucherzahl von mehr als 1 Milliarde im vergangenen Jahr den Markt der Online-Nachrichtenportale deutlich dominiert ( http://bitkom.de/56262_56258.aspx ) sollte man den Herren sehr genau auf die Finger schauen!
Robert sagt: 13. Januar 2009 um 19:27
Sehr schöner Artikel. Auch dem Kommentar von Dirk kann man nur beipflichten. Das Problem, welches er beschreibt, ist wohl auch die Aussage, welche Thea Dorn versucht hat zu vermitteln. ‘Sich dort keine Angst machen lassen, wo keine Gefahr droht’. Allerdings kann ich das nicht wirklich wissen, da ich ihren Artikel nicht gelesen habe. Will ich auch nicht, ehrlich gesagt. Meinem Verständnis und Anforderung von Seriosität wird er schon lange nicht mehr gerecht, aber das nur am Rande.
Wichtig ist mir hier zu sagen, dass die Menschheit meiner Meinung nach am Ende der derzeitigen Entwicklungsstufe angelangt ist, basierend auf die derzeitigen materiellen Wertvorstellungen (sehr schwamig, ich weiß, für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung). Wir benötigen ein gewaltiges Umdenken auf diesem Gebiet, um uns weiter zu entwickeln.
SPIEGELblog sagt: 13. Januar 2009 um 22:07
Der Link zum Artikel von Thea Dorn ist jetzt auch im Blog-Beitrag drin (hatte ich vergessen einzufügen). Danke für den Hinweis.
Torsten EngelbrechtSPIEGELblog
tela sagt: 14. Januar 2009 um 10:09
Ich stimme Roberts Kommentar absolut zu. Wir benötigen ein Umdenken, was unsere Wertvorstellungen angeht. Das Problem dabei ist, dass wir in dem Bereich keine intellektuelle Unterstützung bekommen. Die Wirtschaft, die Politik, die ganze Finanz- und Konsumwelt versucht uns täglich klar zu machen, dass wir mehr konsumieren müssen, weil wir Wachstum brauchen. Unser Fortschritt ist leider aus Sand gebaut und wir erleben teilweise schon die Konsequenzen davon.
Ich frage mich, wie ein Umdenken stattfinden soll, wenn solche Beiträge wie der von Thea Dorn oder über 25 Jahre RTL eine breite Öffentlichkeit (im Spiegel) finden. Ich möchte nicht pessimistisch sein, aber manchmal sehe ich schwarz!
Immerhin gibt es jetzt SPIEGELblog! Das ist schon mal ein Anfang Richtung Aufklärung mit gutem Journalismus.
SPIEGELblog sagt: 15. Januar 2009 um 10:05
Hallo Dirk,
danke für Ihre Ausführungen. Wir sehen es so wie Sie, dass mit Ängsten oft Politik und Geld gemacht wird. Ängste und Feindbilder sind ein wichtiges Vehikel für die Mächtigen, um ihre Macht zu sichern. Doch wir denken auch, dass man differenzieren bzw. ganz genau schauen sollte, wer jeweils dahinter steckt und welche Interessen verfolgt werden.
Thea Dorn differenziert eben nicht und übertreibt total, indem sie pauschal alle in einen Topf wirft und dann diesem Topf das Etikett “atemberaubend unverantwortlicher” Weltuntergangsprophetitis” anheftet - was aber faktisch nicht haltbar ist, denn bei weitem nicht für alle Personen bzw. Gruppierungen kann dies auch nur annähernd genau so gesagt werden. So gibt es, wie erwähnt, durchaus viele Warnungen, die absolut berechtigt waren/sind und tragischerweise nicht erhört wurden/werden (Warnung vor dem Dritten Reich, Warnung vor dem Crash, Warnung vor Hunger etc.).
Denken Sie nicht auch, dass z.B. das Phänomen, dass die (von Dorn ebenfalls erwähnte) Vogelgrippe von der Pharmaindustrie, der Politik und den Medien zur drohenden Pandemie aufgebauscht wurde, anders einzuschätzen ist als z.B. der Einsatz von Menschen für eine Erde ohne Hunger? Und was, wenn wir doch noch nicht das Ende der Finanzkrise gesehen haben, was zumindest einige harte Fakten nicht unwahrscheinlich escheinen lassen (z.B. US-Haushaltsdefizit), und es daher für viele Menschen noch schlimmer kommt als ohnehin schon - können wir dann immer noch, wie es Dorn getan hat, sagen, dass NYT-Kolumnist Friedman ein “atemberaubend unverantwortlicher”, ja “apokalyptischer Harlekin” war, weil er Menschen in Restaurants zum Sparen riet?
SPIEGELblog-Team
stella sagt: 15. Januar 2009 um 10:12
Thea Dorn soll sich diese Teile der Erde mal anschauen:http://www.theplaceswelive.com/Wenn sie zurück ist, möchte ich gerne wissen, ob sie in der Lage wäre, so einen peinlichen Artikel zu schreiben! Sie soll sich einfach lieber engagieren und zu denen zählen, die sie in ihrem Essay kritisiert!
Ich danke SPIEGELblog für den guten Beitrag!
Marc sagt: 15. Januar 2009 um 18:32
Ich fand den Essay sehr erfrischend. Mir hat Frau Dorn aus dem Herzen gesprochen. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich generell ein sehr optimistischer Mensch bin und mit Mahnern und Weltverbesserern schon immer herzlich wenig anfangen konnte.
ilia Papa sagt: 23. Januar 2009 um 04:27
@ alle. Nun, ich bin so ein ‘Apokalyptiker’, ‘Weltuntergangs’-Prophet, wie auch einer der bösen, bösen ‘Weltverbesserer’ und ‘Mahner’. Und, jetzt?
… Allerdings gehöre ich nicht zu all diesen ‘PROFI-Leuten’, die wie die so genannten ‘etablierten’ Medien ANGSTMACHER par excelance sind - und damit ihr täglich Brot verdienen. MÜSSEN! Weil nur bad news good news bei den TV-Quoten und bei all dem Betroffenheits-Heucheln sind. Immer in die Richtung, die grade ‘nachgefragt’ ist. Gegen Cash!
Ich habe da aber etwas Phänomenales entdeckt, das viele wissen sollten, um eine JETZT-Welt-Lage und all ihre Hintergründe kennen zu lernen, die sich dei meisten Sesselpupser wohl in 1000 Jahren würden nicht träumen lassen, daß sie total echt und vollkommen real sind.
Wenn ich mir also ‘Sachdarstellungen’ einer Thea Dorn - Thea kommt aus dem Griechischen und bedeutet ‘Göttin’, Frau Dorn ist demnach wohl ein ‘Göttlicher Dorn’ im eigenen Auge - einverleiben darf, dann doch mit der Freude, daß es immer noch Leute gibt, die trotz aller Bedrohung durch die vielfältigsten ABC-Waffen und all dem anderen Bösen der Welt tönen:
‘Liebe Leute. Leser macht euch keine Sorgen, sterben müssen wir alle mal!Finanz-, Weltwirtschaftskrise, hoch schnellende Arbeitslosen- und damit Existenzzerstörungs-Zahlen? Kein Problem! Die hatten wir doch in der Geschichte schon sooo oft - und alle HEIL überwunden, 1. Weltkrieg, 2. WK, laßt euch überraschen was diese Krise überraschend bringt! Hurra!’
Nun ja, … es ist einfach unglaublich erbaulich so viel geballte Intelligenz, Großmut und Ignoranz auf so kleinem Raum lesen zu können, wie in dem SPIEGEL-Artikel von Frau Dorn … Wo ist also die Lösung, Frau ‘Göttin’ des eiligen Dorn’s?
Ahja: Auch auf einer rosaroten Wolke fernab aller Realitäten läßt es sich in einem 3. Weltkrieg, am liebsten mit ABC-Waffen geführt, vortrefflich in der breiten Masse sterben - und darüber schriftlich parlieren! Suppa!
Schreiben Sie doch mal einen Artikel mit der Überschrift ‘Die Lebenden werden die Toten beneiden, Jucheee!’ Beim inhaltlichen Texten wird einer Göttin Dorn sicherlich blumig gefaß einfallen, welches die Vorteile von ein Leben lang tot sein, gegenüber einem Leben mit voll offenen Augen sind.
Lg - ilia Papa
P.S. Waren Sie auch schon mal ‘embedded’ voll in einem Krieg?? So toll mitten drin beim Kinder- und was weiß ich noch alles bloß Abschlachten und in die Luft sprengen, statt ‘… nur mal ein wenig dabei’? Oh, mir wird so übel!







05.01.2009

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ESSAY
Lust an der Apokalypse
Von Thea Dorn
Was hinter der Katastrophenrhetorik steckt.


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Traditionell überlassen wir den Part des Propheten, der durch unsere unwirtlichen Städte wandert und die Menschen lautstark zur Umkehr mahnt, dem kleinen Kreis bibelfester Obdachloser. Doch seit die Finanzkrise Banken gesprengt und die Automobilindustrie ins Stottern gebracht hat, sind auch die gebildeten Stände von einer aggressiven Prophetitis befallen. Nun treibt auch sie das Bedürfnis um, das Ende der "großen Hure Babylon" zu verkünden. So war von Thomas Friedman, einem der prominentesten Kolumnisten der "New York Times", zum Jahresende 2008 zu lesen: "In letzter Zeit gehe ich in Restaurants, schaue mich an den Tischen um, an denen es immer noch von jungen Leuten wimmelt, und ich habe dieses Bedürfnis, von Tisch zu Tisch zu gehen und zu sagen: ,Sie kennen mich nicht, aber ich muss Ihnen sagen, Sie sollten hier nicht sein. Sie sollten Ihr Geld sparen. Sie sollten Ihren Thunfisch zu Hause essen. Diese Finanzkrise ist bei weitem noch nicht vorbei. Wir sind nur am Ende des Anfangs. Bitte lassen Sie sich Ihr Steak einpacken, und gehen Sie nach Hause.'"

AP
Endzeitphantasie im Film "The Day After Tomorrow" (2004)
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete darüber, und anstatt zu fragen, ob es nicht atemberaubend unverantwortlich ist, wenn ein einflussreicher Wirtschaftsfeuilletonist den apokalyptischen Harlekin gibt, sinnierte der Herausgeber Frank Schirrmacher über "die Evolution einer Krise, deren Dramatik buchstäblich mit jeder Woche neue rhetorische Maßnahmen verlangt". Ein herzloser Tropf, wer im Angesicht der Krise als Erstes an politische und ökonomische Maßnahmen denkt.
DER SPIEGEL 2/2009
TITELObamas bester MannEin Präsidentenpaar und seine Vision von einer besseren Welt
Inhalt
Vorabmeldungen
English Texts
AbonnementNun ist der Schwanengesang, das Hohelied vom baldigen Ende der Menschheit, beileibe keine Erfindung unserer Tage. Die Bibel ist gerade mal sieben Kapitel alt, schon schickt der Herr die Sintflut, auch im Gilgamesch-Epos bestellen die Götter den großen Regen, während die Edda eher auf den Weltenbrand setzt. Die Menschen des Mittelalters waren alle naslang sicher, von einem Kometen oder der Pest kollektiv ausgelöscht zu werden. Auch das 20. Jahrhundert begann - noch vor der realen Katastrophe des Ersten Weltkriegs - mit der fiebrigen Erwartung des Halleyschen Kometen. Kaum hatte man den nationalsozialistischen Terror hinter sich gelassen, erhitzte die Angst vor dem Atomtod die Gemüter bis an den Rand der Kernschmelze. In den Siebzigern entdeckte der Club of Rome die Ökologie als weites Feld für Untergänge. Und die Achtziger bescherten uns die spezifisch deutsche Spielart dieser Angst: das Waldsterben.
Es ist also nichts Neues, wenn in unseren Tagen wahlweise die Vogelgrippe, der Millennium-Bug, die demografische Entwicklung, die Erderwärmung oder aktuell die Wirtschaftskrise als Reiter der Apokalypse besungen werden. Das Geschäft mit der Angst dürfte das in Wahrheit älteste Gewerbe der Welt sein. Neu ist allerdings, dass sich die Apokalypsen in immer rasanterem Wechsel ablösen. So wie Starbucks uns jeden Monat mit einem anderen "Coffee Highlight" bei Laune hält, kredenzen uns die Massenmedien mittlerweile den Untergang des Monats. Nicht die "Evolution der Krise" verlangt jede Woche nach "neuen rhetorischen Maßnahmen". Presseorgane tun es, bei denen der Lautstärkeregler offensichtlich nur in eine Richtung zu drehen ist.
ZUR PERSON
Thea Dorn, 38, lebt als Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin in Berlin. Zuletzt erschien von ihr "Mädchenmörder. Ein Liebesroman". "Es gibt Leute, die sich über den Weltuntergang trösten würden, wenn sie ihn nur vorhergesagt hätten", notiert Friedrich Hebbel 1845 in seinem Tagebuch. Und Friedrich Sieburg schreibt gut hundert Jahre später: "Ein wesentlicher Reiz unserer Zivilisation besteht in der Reichhaltigkeit der Palette, mit der wir die Menschheit malen, wie sie dem Grabe zuwankt. Man muss auch eine Sache, von der man nichts weiß, zu Ende denken können."
Doch Sieburg spottet nicht nur, er bietet auch eine Erklärung an für "die Lust am Untergang", die er als Lebensgefühl selbst in der aufstrebenden Wirtschaftswunder-Bundesrepublik allenthalben diagnostiziert: "Der Alltag der Demokratie mit seinen tristen Problemen ist langweilig, aber die bevorstehenden Katastrophen sind hochinteressant ... Wenn wir schon mit unserem Dasein nichts Rechtes mehr anzufangen wissen, dann wollen wir wenigstens am Ende einer weltgeschichtlichen Periode stehen. Richtig zu leben ist schwer, aber zum Untergang reicht es allemal."
Spricht also tatsächlich der Freudsche Todestrieb aus uns, "das wunderbare Sehnen dem Abgrund zu", wie Hölderlin es nannte? Auf den ersten Blick erscheint die Annahme absurd. Denn unsere Endzeitverkünder sind weit davon entfernt, wie Wotan in Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" zu donnern: "Nur Eines will ich noch: / das Ende - / das Ende! -"
In einem Punkt sind sich Wotan und die heutigen Apokalyptiker jedoch frappierend einig: Die Welt hat sich in eine grundverkehrte Richtung entwickelt und hätte es dafür verdient unterzugehen. Wie der Wagner-Gott sein gesamtes zivilisatorisches Werk als "herrische Pracht, göttlichen Prunkes prahlende Schmach" verflucht, geißeln auch unsere zürnenden Zeitgenossen den Way of Life, entlarven das fundamental Verheerende an unseren individualistisch-kapitalistischen Gesellschaften. Zweifel und moderate Töne sind ausgeschlossen.
In der Bundesrepublik wird schon länger solide und begeistert Katastrophenarbeit geleistet. Von sich rächenden Urgewalten weiß der Schriftsteller und Öko-Aktivist Carl Amery bereits in den achtziger Jahren zu berichten: "Das Waldsterben", schreibt er, "ist der untrüglich einsetzende Versuch der Gaia, d. h. des Lebewesens Erde, sich durch eine gewaltige Operation einer misslungenen Spezies zu entledigen ... Es erfordert die totale Revision unserer sogenannten Werte. Darunter läuft nichts mehr."
Philosophisch anspruchsvoller, aber nicht weniger "total" formuliert taucht der Gedanke des "darunter läuft nichts mehr" schon gut zwanzig Jahre früher in Karl Jaspers' Schrift "Die Atombombe und die Zukunft des Menschen" auf: "Vor der Drohung totaler Vernichtung sind wir zur Besinnung auf den Sinn unseres Daseins zurückgeworfen. Die Möglichkeit der totalen Zerstörung fordert unsere ganze innere Wirklichkeit heraus."
Hinter der Katastrophenrhetorik steckt die Sehnsucht: Der Mensch möge zur radikalen Umkehr finden. Deshalb reicht es auch nicht, die krisenhaften Exzesse unserer Lebensform zu benennen und nach konkreten, pragmatischen Auswegen zu suchen. Krisen sind von dieser Welt, gehören zur normalen Entwicklung der menschlichen Geschäfte. Katastrophen jedoch sind Ereignisse, die den Lauf der Dinge jäh unterbrechen, Eruptionen, die das Kontinuum sprengen, die Geschichte in eine andere Richtung zu reißen vermögen. Krisen machen das Leben auf unspektakuläre Weise anstrengend, weil sie die mühsame, sorgfältige Kleinarbeit der Nachbesserung und Feinjustierung erfordern. Katastrophen hingegen sind Zeiten der großen Geste. Die Katastrophe rüttelt das saturierte Individuum auf. Und gleichzeitig erlaubt sie ihm, sich zum Retter aufzuschwingen.
Niemand spielt die Rolle des erschütterten Erschütterers derzeit so gut wie Al Gore. Es ist mehr als eine menschelnde Zutat, wenn der Mann, der sich zu Beginn des Films "Eine unbequeme Wahrheit" mit dem Satz "Ich war früher mal der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika" vorstellt, später erzählt, wie seine Wendung zum Klimaretter geschah: Sein sechsjähriger Sohn rang nach einem Autounfall wochenlang mit dem Tod. Die private Katastrophe als Bekehrungserlebnis. Und gleichzeitig gibt der Friedensnobelpreisträger von 2007 halb selbstironisch zu, dass sein globaler Ökokreuzzug eine schöne Ablenkung von der Enttäuschung ist, das Präsidentenamt im Jahr 2000 so knapp verpasst zu haben. Selten lagen Ego-Show und Weltrettungsgestus dichter beieinander.
Seit ihren Anfängen zielt die Warnung vorm Weltuntergang darauf ab, die Menschheit in ihrem Größenwahn zu zügeln, sie daran zu erinnern, dass es Mächte gibt, die größer sind als sie selbst. Doch schlägt die vom Endzeitraben grell vorgetragene Mahnung zur großen Ein- und Umkehr nicht selbst in Hybris um, wenn sie sich dazu aufschwingt, unsere Gesellschaft insgesamt abzukanzeln und ihr deshalb die "totale Revision" zu verordnen? Steckt in dem Ekel, den unsere Apokalyptiker angesichts des alltäglichen Lebens offenbar empfinden, nicht doch etwas Lebensfeindliches, dem Freudschen Todestrieb Verwandtes?
Um Himmels willen, nein!, würden die guten Menschen von ihren Klima-, Demografie- und Live-8-Gipfeln herab rufen. Wir mahnen und rütteln doch gerade, weil wir das Leben lieben, die Menschheit retten, der nächsten Generation eine nicht verwüstete Erde hinterlassen wollen. Unser Ekel ist nicht der Ekel vor dem Leben als solchem, sondern der Ekel vor dem falschen, kapitalistischen, ausbeuterischen, entfremdeten, oberflächlichen, egoistischen Leben, wie wir es in den westlichen Gesellschaften führen. Aber warum machen sich unsere Apokalyptiker auf dem wohlwollenden Auge blind, warum sehen sie nur die gierigen Manager, die (noch) nicht beseitigte Armut, den Konsumismus, die billige Plastikkultur? Und nicht die verantwortungsvollen Unternehmer, die verbesserten Lebensbedingungen auch für die ärmeren Schichten, die Museen und Opernhäuser, die Naturschutzparks, die unsere angeblich so durch und durch verrottete Zivilisation ebenso hervorgebracht hat?
"Die ganze Richtung passt mir nicht." Der Spruch, den Kaiser Wilhelm II. getätigt haben soll, ziert auch die Wappen unserer unbarmherzigen Levitenleser. Aber was wäre die Richtung, die besser passte?
Den deutlichsten Aufschluss über die Hoffnungen der Endzeitverkünder gibt das Katastrophenkino à la "The Day after Tomorrow": Geschiedene Väter, die es am Vortag der Katastrophe noch nicht einmal fertiggebracht haben, ihren Sohn pünktlich zum Flughafen zu fahren, marschieren zu Fuß durch die plötzlich hereingebrochene Eiszeit, um ebenjenen Sohn aus einem in Eis und Schnee versunkenen New York herauszuholen. Penner und Millionärssöhnchen, die sich eben noch feindlich fremd aus dem Weg gingen, teilen sich den letzten Pullover.
Wem dies zu trivial erscheint, der möge bei Heinrich von Kleist nachlesen, in "Das Erdbeben in Chili" (1807). Der düstre Dichter ergeht sich ebenfalls in Schilderungen des klassenlosen, von Nächstenliebe durchströmten Idylls im Windschatten der Naturkatastrophe, auch seinem Protagonisten will es - wenigstens vorübergehend - so scheinen, "als ob das allgemeine Unglück alles, was ihm entronnen war, zu einer Familie gemacht hätte". Muss man so extreme Erfahrungen wie die Auschwitz-Überlebende Ruth Klüger gemacht haben, um zu erkennen, dass die Vorstellung, besonders großes Leid würde besonders humanisierend wirken, ebenso rührseliger wie fataler Kitsch ist?
Die Menschheit wird sich von dem schlechten Gewissen, das sie plagt, seit Prometheus den Göttern das Feuer geklaut und Eva und Adam vom Baum der Erkenntnis gekostet haben, nicht befreien, indem sie alle fünf Minuten den nächsten Weltuntergang herbeiphantasiert und dabei doch nur heimlich hofft, den Schleichweg zurück ins Paradies zu finden. Alle Wege dorthin sind verbaut. Und deshalb wird die Menschheit auch keine gerechteren Gesellschaften kreieren, indem sie an der Utopie festhält, Frieden herrsche erst dann, wenn alle Konflikte, Gegensätze und Widersprüchlichkeiten ausgemerzt, alle Zersplitterungen in einer großen Weltumarmung gekittet sind. Der Mensch ist aus krummem Holz gemacht. Jeder Versuch, aus ihm etwas gänzlich Gerades zu zimmern, hat bislang nur einen Ort erschaffen: die Hölle auf Erden.



Samstag, 24. Januar 2009

Britischer Minister sagt: We are fucked!
Wie der Guardian berichtet, hat der britische Wirtschaftsminister Lord Mandelson folgenden Aussage gemacht, um die prekäre Situation von Grossbritannien darzustellen:“The banks are fucked, we’re fucked, the country’s fucked!”Diese Worte muss man nicht übersetzen. Deutlicher geht’s ja nicht mehr, um die Lage der Banken, der Regierung und des Landes auszudrücken ... und dass, wohlgemerkt, von einem Regierungsmitglied!Die britische Regierung ist völlig verzweifelt, denn das Bankensystem, die Wirtschaft, ja das ganze Land ist bankrott.Nach dem ersten Rettungspaket für die Banken vor drei Monaten, welches nichts gebracht hat, muss Premierminister Gordon Brown das zweite nun verkünden. 200 Milliarden Pfund sollen in einen Versicherungstopf gehen, diesmal nicht für die dahinsiechen Banken, sondern für ihre unschuldigen Kunden, für Firmen und Hausbesitzer, die dringend Kredite benötigen.Der Parteichef der Torys David Cameron sagte gestern, Grossbritannien steht vor den dunkelsten wirtschaftlichen Zeiten seit dem II. Weltkrieg, und läuft ins Risiko, sich Milliarden vom Internationalen Währungsfonds leihen zu müssen, um gerettet zu werden.Der Ton gegenüber den Banken wird immer aggressiver. Die Regierung teilt die Frustration der Öffentlichkeit, über die unverantwortliche Geldanlage der Vergangenheit, wie sie ihre Misere der Überschuldung immer nur stückweise veröffentlichten, und wie sie sich stur in letzter Zeit geweigert haben, Kredite zu vergeben.Die regierende Labor Partei ist zunehmend nervös, dass die Briten einfach nicht verstehen, warum man eine zweite Rettung vornehmen muss, um den Bankern zu helfen, wenn sie bereits Milliarden an Krediten, Garantien und Kapital vom Staat erhalten haben.Gordon Browns Titel als selbsternannter “Retter der Finanzwelt”, weil er als erster westlicher Regierungschef die Verstaatlichung von Banken als Rettungsmassnahme veranlasste, ist ziemlich angeknackst, war sowieso lächerlich. Damit wurden die gigantischen Verluste nur sozialisiert, aber das Grundproblem nicht gelöst. Die sind immer noch da, sogar viel schlimmer geworden, nur Brown ist hilflos, hat keine Ahnung was er jetzt noch tun soll.Bei seiner Ansprache vor der Fabian Society am letzten Wochenende, sprach Lord Mandelson die oben zierten heftigen und wahren Worte aus. Er sagte weiter “Ich werde euch nicht sagen, ich glaube wir haben die Massnahmen getroffen, welche sicher funktionieren werden”. Auf die Banken bezogen sagte er: “In was sie sich hineinmanövriert haben, ist so technisch komplex, so eine Herausforderung, dass niemand in Verantwortung sagen kann, das ist alles was man tun muss, um zu richten was schiefgelaufen ist.”Auf der anderen Seite sagte Oppositionsführer David Cameron, “Wenn wir den Weg der Labor Partei einer unverantwortlichen Fiskalpolitik weiterverfolgen, dann werden wir sehr bald kein Geld mehr haben.” Weiter sagte er bei seiner Ansprache vor der Demos Denkfabrik in London. “Dann werden wir eine Rückkehr zu notfallmässigen Kürzungen vieler öffentlicher Dienste sehen, wie unter Labor in den 70gern, von denen aber eine fortschrittliche Gesellschaft abhängig ist.”“Ich sage jetzt kein Datum voraus, wann die Regierung kein Geld mehr haben wird und sich an den IWF wieder wenden muss,” sagte er “was ich sage ist, wir laufen in das Risiko hinein, dass so was passiert, und in so eine Situation darf eine verantwortungsvolle Regierung das Land nicht bringen.”Der Pfund fiel auf den tiefsten Stand seit 1985 gegenüber den Dollar am Mittwoch, die Arbeitslosenzahlen sind auf ein 10 Jahreshoch von 6.1 Prozent gestiegen und die Staatsdefizit hat sich in den ersten neun Monaten des Fiskaljahres verdoppelt, auf den höchsten Wert aller Zeiten, auf 71.2 Milliarden Pfund.Der Gouverneur der Bank von England, Mervyn King, fügte weitere schlechte Stimmung am Dienstag hinzu, als er warnte, dass “unkonventionelle Massnahmen” notwendig sein würden, um die britische Wirtschaft anzukurbeln, wenn der Zins demnächst auf null Prozent geht.Verwandte Artikel: Europa steht vor dem Kollaps, Proteste in Island erzwingen Rücktritt der Regierung
Posted by Freeman um 10:00 11 comments
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Bekommen wir mehr als vier Millionen Arbeitslose?

dpa
Bundesarbeitsminister Scholz
Kurzarbeit wird zunehmen, ebenso die Zahl der Insolvenzen. Damit rechnet Bundesarbeitsminister Olaf Scholz. Trotzdem sieht er den deutschen Arbeitsmarkt besser aufgestellt als den anderer führender Industrieländer. Nur bei der Fragen nach Arbeitslosenzahlen fällt seine Antwort nicht mehr so klar aus.
FOTOGALERIE
Die Finanzkrise einfach erklärt:Wie sie aus den USA zu uns kam
WELT ONLINE: Herr Minister Scholz, sämtliche Wirtschaftsexperten befürchten massive Arbeitsplatzverluste infolge der Wirtschaftskrise. Fühlt sich da der Arbeitsminister nicht ziemlich machtlos?
Olaf Scholz: Die Regierung ist nicht allmächtig, aber auch nicht machtlos. Der deutsche Arbeitsmarkt ist in vielerlei Hinsicht besser aufgestellt als andere in den führenden Industrieländern. Und welche Handlungsmöglichkeiten der Arbeitsminister hat, sehen Sie etwa daran, dass ich schon im letzten Jahr mit einer zügig erlassenen Verordnung die Förderdauer der Kurzarbeit von sechs auf 18 Monate erhöht habe. Jetzt entlasten wir die Betriebe in dieser Phase auch noch finanziell, indem der Staat die Hälfte der Beiträge zur Sozialversicherung übernimmt.
WELT ONLINE: Sie finanzieren die Arbeitsmarkt-Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise aus den Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit. Wie lange reichen diese Rücklagen?
Scholz: Wir haben 16 Milliarden Euro Rücklagen. Das Geld reicht bis weit in das nächste Jahr. Sollte die Krise Ende kommenden Jahres noch nicht überwunden sein, bekommt die Bundesagentur ein Darlehen aus dem Bundeshaushalt, mit dem wir die Maßnahmen weiterfinanzieren können, ohne den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung erhöhen zu müssen.WELT ONLINE: Sie sind nah dran an den Betrieben? Wer plant Kurzarbeit?Scholz: Kurzarbeit geht quer durch alle Branchen, vor allem durch jene, die mit der Automobilindustrie zusammenhängen. Wichtig ist: Wir sind auf einen großen Ansturm auf die Kurzarbeit vorbereitet. Wir haben die finanziellen Möglichkeiten und den Willen, sie einzusetzen.
WELT ONLINE: Wie viele Arbeitnehmer in Deutschland sind inzwischen von Kurzarbeit betroffen?
Scholz: Inzwischen sind es Hunderttausende. Und es können noch mehr werden. Im Jahresschnitt rechne ich mit 250.000 Kurzarbeitern – viele aber nur für eine überschaubare Zeit.
WELT ONLINE: Wie groß ist die Zahl der bereits jetzt vom Konkurs bedrohten Unternehmen?
Scholz: Das ist schwer zu quantifizieren. Wahr ist, die Zahl der Insolvenzen wird sicher zunehmen. Es gibt da eine schwierige Entwicklung. Gerade bei den Zulieferbetrieben der Automobilindustrie zeigen sich jetzt die Folgen der knallharten Preispolitik der bestellenden Konzerne. Die Zulieferer besitzen so gut wie keine Liquiditätsspielräume.
WELT ONLINE: Das heißt, die Praxis der Vergangenheit erschwert nun die Bewältigung der Krise?
Scholz: So ist es. Nehmen Sie das Engagement der Hedgefonds, die Unternehmen gekauft und mit horrenden Schulden belastet haben. Denen ging es nicht um die langfristige Entwicklung. Man muss offen sagen: Diesen Unternehmen fehlt heute die Luft zum Atmen.
WELT ONLINE: Wird die Arbeitslosigkeit trotz der vielen Kurzarbeiter deutlich zunehmen?
Scholz: Wir werden im Schnitt vermutlich 250.000 Arbeitsuchende zusätzlich haben.
WELT ONLINE: Heißt das, dass die Vier-Millionen-Marke erreicht oder gar überschritten wird?
Scholz: Niemand besitzt eine Rechenmaschine, mit der er eine solche Zahl seriös errechnen kann. Uns geht es darum, so viele Arbeitsplätze wie möglich zu retten und gleichzeitig denen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, möglichst schnell einen neuen anzubieten. Darum bauen wir die Kurzarbeit aus. Darum fördern wir die Qualifizierung in der Beschäftigungskrise. Darum erhöhen wir auch die Zahl der Vermittler um mehrere Tausend.
Weiterführende Links
Franz Müntefering schließt Linke als Partner aus
Der nächste Streit um Mindestlohn kommt bestimmt
Die Kanzlerin vergrätzt ihre Wirtschaftspolitiker
WELT ONLINE: Der neue US-Präsident Barack Obama hat seinen Landsleuten klipp und klar gesagt, dass sie in diesem Jahr Millionen Jobs verlieren werden. Scheuen Sie davor zurück, den Menschen die Wahrheit zu sagen?
Scholz: Ich glaube, dass es richtig und verantwortlich ist, wenn wir auch bei Prognosen auf dem Teppich bleiben. Das schlimmste Szenario ist nicht zwangsläufig das Wahrscheinlichste. Im Übrigen ist das, was wir tun müssen, auch ohne eine solche Zahl klar. Wir stemmen uns der Krise entgegen. Unsere Instrumente sind ziemlich ausgereift. Ich war gerade bei einem Treffen europäischer Beschäftigungsminister in Tschechien. Viele schauen nach Deutschland, zum Beispiel wegen der Kurzarbeit. Was die Bürger nun von uns zu Recht erwarten, ist ein gutes Krisenmanagement.
WELT ONLINE: Das anfangs doch sehr zögerlich und unentschlossen wirkte.
Scholz: Die Regierung hat sehr schnell und sorgfältig reagiert und die notwendigen Maßnahmen mit dem Finanzmarktstabilisierungspaket und zwei Konjunkturpaketen auf den Weg gebracht. Aber ich sage auch: Alle sind gut beraten, sehr ernsthaft bei der Sache zu sein und keine Mätzchen zu machen. Dafür ist die Lage viel zu ernst.
WELT ONLINE: Wen meinen Sie?
Scholz: Die Mätzchenmacher outen sich selbst.
WELT ONLINE: Sie betonen immer wieder, dass Bildung der Schlüssel zum sozialen Aufstieg und das beste Fundament der Wirtschaft ist. Warum erschweren Sie dann intelligenten Kindern aus Hartz-IV-Familien den Weg zum Abitur, indem sie ihnen das Schulbedarfspaket, das jüngeren Kindern zusteht, verweigern?
Scholz: Das Schulbedarfspaket ist überhaupt erst auf Drängen der SPD entstanden. Allerdings bestand die Union darauf, dass es auf die Schüler bis zur zehnten Klasse beschränkt wird. Was allerdings die CDU-Sozialminister der Länder nicht davon abgehalten hat, dem Bundesarbeitsminister die Verantwortung dafür zuzuschreiben, dass es das Paket nicht für die Oberstufe gibt. Ein – höflich gesagt – sehr merkwürdiges Verhalten.
WELT ONLINE: Merkwürdig kann man auch finden, dass Sie ausgerechnet in Zeiten der Krise immer mehr Mindestlöhne einführen.
Scholz: Wir haben die Zahl der Mindestlöhne in dieser Legislaturperiode von eins auf zehn gesteigert. Weit mehr als drei Millionen Menschen werden so vor Dumpinglöhnen geschützt. Für Hunderttausende bedeutet dies, dass sie eine ordentliche Lohnerhöhung bekommen werden und von ihrem erarbeiteten Lohn wenigstens ihr Auskommen finanzieren können. Das ist ein Riesenerfolg. Genauso wie die Verständigung darauf, dass es eine Lohnuntergrenze für die Zeitarbeit gibt. Sie wird sich dabei an den geltenden Flächentarifverträgen in diesem Bereich orientieren.
WELT ONLINE: Trotz Ihrer Mindestlohnpolitik kann die SPD beim Wähler nicht punkten. Warum kommt sie aus ihrem Tief nicht heraus?
Scholz: Ich bin sicher, dass wir es schaffen werden, bis zur Bundestagswahl im September mit der Union gleichzuziehen.
WELT ONLINE: Woher nehmen Sie diesen Optimismus?
Scholz: Die SPD kann kämpfen, das haben wir oft bewiesen. Und wir haben einen Kanzlerkandidaten, von dem sich jeder Deutsche vorstellen kann, dass er ein guter Kanzler wäre.
WELT ONLINE: Gibt es dazu Umfragen?
Scholz: Ich höre das von allen Bürgern, mit denen ich spreche, auch von Anhängern anderer Parteien.
WELT ONLINE: Mit dem neuen Vorsitzenden Franz Müntefering verband die SPD große Hoffnungen. Dennoch laufen ihr Wähler und sogar Mitglieder davon. Waren die Hoffnungen überzogen?
Scholz: Nein. Wähler sind keine Schachfiguren. Sie sind die wichtigsten Leute unseres Landes. Sie sind der Souverän des Landes. Und sie wollen sich ihr Urteil sorgfältig überlegen. Das gilt auch für die, die in Betracht ziehen, die SPD zu wählen. Nur Zyniker wollen das nicht wahrhaben. Ich empfehle mehr Respekt.
WELT ONLINE: Die Frage galt allein den Hoffnungen der SPD.
Scholz: Es war vorhersehbar, dass wir nach einer gewissen Zeit gefragt werden würden: Und warum ist noch nicht alles ganz anders? Darauf gibt es nur eine Antwort: So schnell geht das nicht. Daraus, dass die Union in den Meinungsumfragen von unserer Lage nicht profitiert, schließe ich: Die Union ist für viele keine Alternative. Wir haben also alle Chancen, bis zum Wahltag ausreichend viele zu überzeugen.
Zuletzt aktualisiert: Freitag, 23. Januar 2009, 15:47 Uhr


Wenn Dauersex mit dem Ehemann zur Hölle wird

dpa
Auch echte Zuneigung und tiefe Gespräche helfen nicht über die Sexroutine hinweg.
Die zutiefst religiöse Charla Muller hatte ihrem Mann zum 40. Geburtstag ein besonders Geschenk gemacht: Kein Tag ohne Sex! Jetzt berichtet die Autorin über ihre desaströsen Erfahrungen mit dem Dauersex. Denn am Ende halfen auch echte Zuneigung und tiefe Gespräche nicht über die Sexroutine hinweg.
FOTOGALERIEN
Sexreport: Das passiert in deutschen Betten
Was ist die Hölle auf Erden? Jeden Tag mit dem eigenen Mann ins Bett zu müssen, schreibt Charla Muller, 41, die sich mit ihrem Buch „356 nights“ eben auf die US-Bestsellerliste katapultierte. Die zutiefst religiöse Autorin hatte ihrem Mann zum 40. Geburtstag ein besonders liebevoll gedachtes Geschenk gemacht: Kein Tag ohne Sex! Gegen die Bettroutine setzte sie die Bettpflicht, was aber zu ähnlich desaströsen Resultaten führte, wie das Online-Magazin fem.com berichtet.
Nach 26- bis 28-mal Sex pro Monat – und das zehn Monate hintereinander – ging den beiden im Schlafzimmer die Lust aus. Da nützten offenbar auch Rollenspiele wie „Charla folgt ihrem Mann auf Geschäftsreise“ nichts mehr. Auch echte Zuneigung, gegenseitiges Verständnis und tiefe Gespräche über Liebe halfen am Ende nicht über die neu-alte Sexroutine hinweg.
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Frauen aufreißen leicht gemacht im Crash-Kurs
Blick unter die Bettdecken der Jugendlichen
Ab 30 ist es mit dem täglichen Sex vorbei
In der „Verschmelzungsfalle“ verfangen sich eben auch Paare, für die sich wahre Partnerschaft nicht im Sex erschöpft. Im Rückblick auf ihr „Sexperiment“ schreibt die amerikanische Autorin denn auch von einer „dämlichen Idee“ und jammert über das „Kreuz“, das sie zu tragen hatte.
Wenn die guten Vorsätze nach Silvester verpuffen
An Silvester knallen nicht nur die Sektkorken, es werden auch viele gute Vorsätze gefasst. Alle Jahre wieder – das moralische Ritual ist nicht totzukriegen. Doch der euphorische Vorausblick schließt den illusionslosen Rückblick mit ein. Wir spüren den quälenden Widerspruch zwischen dem, was wir sein wollen, und dem, was wir sind.
Besonders in der Partnerschaft wird dieser Konflikt überdeutlich, denn nirgendwo sonst werden die an uns gerichteten Forderungen so schonungslos in Stellung gebracht wie hier. Was am Partner besonders nervt, hat jetzt eine Umfrage der GfK Marktforschung ans Licht gebracht. Die unbeliebteste Eigenschaft ist demnach Sturheit, dann folgen Rechthaberei, Kleinlichkeit, Unentschlossenheit und Eifersucht. Frauen finden besonders die männliche Verschlossenheit verdrießlich, Männer dagegen fürchten sich vor nichts mehr als der Redseligkeit ihrer Partnerin.
Ist es da verwunderlich, dass bei einer aktuellen Umfrage der Wellnessagentur Beauty24 über die häufigsten Vorsätze der Wunsch ganz oben rangiert, dem Partner künftig mehr Zuwendung entgegenzubringen? Einziges Dilemma: Mehr als ein Drittel der Befragten räumte ein, den eigenen Vorsätzen schon bald nach Silvester wieder untreu zu werden.
Auch allein kann man ganz schön glücklich sein
Ein Single ist per definitionem allein. Nicht unbedingt einsam, aber allein. Was vielen dabei aber mehr zu schaffen macht als das Alleinsein an sich, ist die Art und Weise, wie man als Single gesehen wird. Wie jemand nämlich, der keinen abgekriegt hat. Wie jemand, mit dem es keiner lange aushält.
Doch die Zeit der Stigmatisierung ist offensichtlich vorbei. Bei rund zwölf Millionen Singles in Deutschland ist man als Alleinstehender in bester Gesellschaft. Laut einer Studie der Universität Heidelberg sind Singles mit ihrer Autonomie und ihrem sozialen Netzwerk äußerst zufrieden. Je mehr Singles es gibt, desto weniger Anpassungsdruck gibt es. Man müsse sich heute nicht mehr rechtfertigen, wenn man alleine sei, so der Heidelberger Psychologieprofessor Hans-Werner Wahl.
Frauen fällt es laut der Studie sogar etwas leichter als Männern, das Fehlen einer eigenen Familie mit Freundschaften zu kompensieren. Das gute Arrangement mit den Lebensumständen steht laut Professor Wahl allerdings im Widerspruch zu den heimlichen Sehnsüchten der Singles: 88 Prozent der Singlemänner und 89 Prozent der Singlefrauen träumen weiter von einem Partner, 90 Prozent der Alleinstehenden vermissen Sex und Zärtlichkeit.
Zuletzt aktualisiert: Freitag, 23. Januar 2009, 07:25 Uhr


Jetzt ist auch der Papst auf YouTube

dpa
Der Papst hat ein Handy - erstaunlich genug. Doch jetzt soll er auch noch einen eigenen Kanal auf dem Videofilm-Portal youtube.com bekommen.
Der Papst entdeckt das Internet: Mit einem eigenen Kanal auf YouTube will der Vatikan vor allem junge Katholiken erreichen. Der Leiter des Radios Vatikan spricht auf WELT ONLINE über den neuen Online-Auftritt und die Bedeutung des Internets für die Religion. Außerdem sagt er, warum der Papst von Obama lernen kann.
Seit heute haben Benedikt XVI. und der Vatikan einen eigenen Kanal auf der Online-Video-Plattform YouTube . Clips und Texte des Papstes oder des Vatikans werden in Englisch, Spanisch, Deutsch und Italienisch angeboten. Die Besucher können auch Kommentare abgeben. Benedikt XVI. ermunterte gerade junge Katholiken, das Internet zu nutzen, „um das Zeugnis ihres Glaubens in die digitale Welt zu tragen“. In einer Botschaft würdigt der Papst „das außerordentliche Potenzial“ der neuen Technologien, wenn sie dazu genutzt würden, Verständnis und Solidarität zu fördern. Über die Internet-Aktivitäten des Vatikans spricht auf WELT ONLINE Pater Eberhard von Gemmingen, dem Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan.
WELT ONLINE: Wissen Sie, was Facebook ist?
Eberhard von Gemmingen: (lacht) Ich habe es vorgestern gehört. Es ist, so glaube ich, eine Selbstpräsentation in Wort und Bild im Internet, mit der Leute untereinander in Kontakt treten können.
WELT ONLINE: Nun hat Google mit dem Vatikan einen YouTube-Kanal für den Papst geöffnet. Freut Sie das ohne Vorbehalt?
Von Gemmingen: Natürlich, bei aller Skepsis. Denn an junge Leute kommt man doch kaum noch über eine seriöse Zeitung heran und auch nicht über unseriöse, sondern vor allem über das Internet.WELT ONLINE: In vielen Bereichen des Netzes geht es aber düsterer zu als in den düstersten Vierteln vieler Hafenstädte. Was sagen Sie zu den neuen Nachbarn des Papstes auf diesem Markt der Präsentationen, zu denen so leicht hinübergeklickt werden kann?Von Gemmingen: Das passiert ja auch jetzt schon, dass ich in einer Zeitung etwas Frommes oder Aufbauendes lesen kann neben dem Foto eines wunderschönen nackten Mädchens oder neben einer schlechten oder verfälschten Meldung einer grauenhaften Politik. Aber dass der Papst auf den Areopag geht, ist einfach gut.
WELT ONLINE: Wie bitte, „Areopag“?
Weiterführende Links
Der Papst und der Vorwurf der Homophobie
Benedikt XVI. fordert Reform des Weltfinanzsystems
Papst will rebellische Bischöfe versöhnen
Von Gemmingen: Das war der Ort in Athen, wo Paulus neben den Marktschreiern aller Götter öffentlich von dem einen unsichtbaren Gott zu reden anfing, der in Christus sein Gesicht gezeigt hat. Der Areopag ist ein Marktplatz. Natürlich müssen wir dahin, heute so sehr wie zur Zeit der Apostel.
WELT ONLINE: Wird Radio Vatikan aber nicht überflüssig, wenn sich bald jeder selbst seine Vatikan-Nachrichten frisch von der Quelle aus dem Netz fischen kann?
Von Gemmingen: Nein, überflüssig werden wir gar nicht. Die Hörprogramme für den deutschen Sprachraum werden nachlassen, doch keineswegs in Afrika oder Asien und in vielen anderen Ländern. Für uns aber wird jetzt eben immer wichtiger, was wir auf unsere Homepages und Websites setzen, wo wir ja wesentliche Nachrichten der Weltkirche vermitteln. Da holen sich viele Leute ihre Nachrichten ab. Doch irgendjemand muss sie ja draufstellen. Lesbar, so dass es alle Leute verstehen können.
WELT ONLINE: Aber wenn der Vatikan seine Angebote selbst nach vorne auf die Theke legt, werden dann nicht rasch weniger bei Ihnen vorbei schauen nach dem Motto, geh nicht zum Schmiedchen, sondern zum Schmied?
Von Gemmingen: Nein. Ein Beispiel: Jetzt sind die Bischöfe aus dem Irak hier mit unglaublich aufregenden Texten und Reden. Doch wer kann die schon ganz lesen? Wenn hier nicht in fünf Zeilen verdichtet wird, worauf es ankommt, dann hat man verloren. Genau hier beginnt unsere Arbeit. Das muss alles vereinfacht und zusammengefasst werden. Da hilft es nicht, die Texte einfach nur mit jedem Komma ins Netz zu stellen.
WELT ONLINE: Kann der Papst etwas von Barack Obama lernen?
Von Gemmingen: Ja, und nicht nur er, sondern jeder im Vatikan – und zwar dies: Sag die Dinge, die an die Öffentlichkeit sollen, so, dass sie jeder Mensch verstehen kann. Ich würde dem Heiligen Vater also sagen: Du kannst bei „Urbi et Orbi“ zweimal im Jahr über 100 Millionen Menschen ansprechen. Das sind ungeheure Chancen – die leider immer wieder leichtfertig verspielt werden, weil die Ansprachen einfach zu anspruchsvoll sind, zu hoch, zu fromm, nein, das nicht, aber zu anspruchsvoll.
Sag' es so, dass es die Leute gleich verstehen. Yes, we can! Und der Papst sowieso. Er kann und soll natürlich nicht so reden und sein wie Barack Obama. Aber nichts hindert ihn daran, sich Redenschreiber zu nehmen, die ihm seine Texte etwas herunterbrechen und gewisse Dinge wiederholen, dass sie sich besser einprägen. Das sollte er übernehmen. Nicht, dass er seine Texte liberalisieren oder gar – Gott behüte – verfälschen oder verdummen lassen sollte. Doch was er heute sagt – der doch selbst ein so faszinierend großer freier Redner ist – ist immer nur ein geschriebener Text, der ganz anders strukturiert ist als eine freie Rede. Das müsste und dürfte nicht sein.
WELT ONLINE: Samstag ist der Festtag des heiligen Franz von Sales, des Patrons der Journalisten. Darum wurde der Tag auch ausgewählt für diesen gigantischen Schritt des Vatikans hinauf und hinab in den Cyberspace. Kennen Sie ein besonderes Zitat des Heiligen?
Von Gemmingen: Leider nicht, aber Moment! Ich schaue mal kurz in meinen Büchern nach … hier ist es schon, fast so schnell wie bei Google. „Wer sich selbst zum Schüler hat, hat einen Esel als Lehrer.“ Doch am schönsten ist vielleicht dies, es könnte fast vom Papst selber sein: „Das Maß der Liebe ist die Liebe ohne Maß.“
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 11:51 Uhr


Zumwinkel ist ein ganz gewöhnlicher Steuersünder

dpa
Klaus Zumwinkel galt als seriöser Kaufmann.
Klaus Zumwinkel trägt das Verdienstkreuz des Bundes und galt als seriöser Kaufmann. In der Öffentlichkeit gab Zumwinkel sich bescheiden. Privat aber versteckte der frühere Post-Chef Geld vor dem Fiskus, und deswegen steht er nun vor Gericht. Mit Tragik hat sein Fall nichts zu tun.
"Mein Beruf war schon mein Leben“, sagt Klaus Zumwinkel zu Richter Wolfgang Mittrup. Es ist der Schlüsselsatz im Strafverfahren gegen den früheren Post-Chef. „Manch einer sagt, dass ich die größte Strafe schon erlitten habe“, kommt seine brüchige Stimme aus dem Lautsprecher im Gerichtsaal C240 des Bochumer Landgerichts. Zumwinkel selbst glaubt das auch.
Er habe schon bitter gebüßt für die hinterzogene eine Million Euro, wegen der er hier auf der Anklagebank sitze. Bedrohungen, Nachstellungen und unglaubliche Umstände, die er hier nicht erzählen wolle, habe es seit der Hausdurchsuchung am 14. Februar 2008 gegeben, berichtet der Angeklagte. Bustouren mit Kölner Stadttouristen vor der gemieteten Villa mit den grünen Fensterläden waren nur eine Kleinigkeit. Seine Familie sei „massiv in Mitleidenschaft“ gezogen worden. Frau Antje, mit der er seit 37 Jahren verheiratet ist, erlitt einen Zusammenbruch.
Und dann begründet Zumwinkel sein Vergehen so einfach wie überzeugt: „Es war das Ziel, dass schon einmal versteuertes Geld nicht noch einmal versteuert werden sollte“, sagt er. Er habe das aber wiedergutgemacht, habe die Steuern „unverzüglich“ nachgezahlt, und nun sei ja „alles im Reinen“. Es sind Aussagen wie diese, die daran zweifeln lassen, dass sich der einstige Vorzeigeunternehmer tatsächlich im Unrecht empfindet. Sein Erspartes sollte der Familie zugutekommen und „keinem anderen“, sagt er. Wer will das nicht?
Über Jahrzehnte war der heute 65-Jährige der Inbegriff des hanseatischen Kaufmanns. Korrekt, klar in seinen Aussagen, offen für die Menschen. Wenn er als Konzernchef mit Postboten zusammenkam, schlug er den freundlichen Ton des Patriarchen an und ließ sich die Nöte der Beschäftigten erzählen. Für seine soziale Verantwortung den Mitarbeitern gegenüber beim Zusammenschluss von Deutscher Post und DDR-Post ließ sich Zumwinkel mit dem Großen Bundesverdienstkreuz auszeichnen.
Aber neben dem korrekten Konzernchef stand all die Jahre ein Steuerhinterzieher: Mit Hingabe baute er fast ein Vierteljahrhundert lang seine „Devotion Family Foundation“ in Liechtenstein auf, brachte sie auf den Stand von mehr als elf Millionen Euro und fand nichts Unzulässiges dabei, die Zinseinkünfte daraus in Deutschland an der Steuern vorbei zu kassieren. „Das war der größte Fehler meines Lebens“, ruft er nun im Gerichtssaal den zwei Schöffen und drei Berufsrichtern zu. Er hat mit seinem Anwalt Hanns Feigen, der erste Adressen wie Bayer, Siemens oder früher Mannesmann vertrat, Wort für Wort vorher abgesprochen, was er sagen wird. Dieser Fehler hat sein Lebenswerk, seine Karriere, zerstört. War es nur deshalb falsch?
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Haft für Erpresser der Liechtensteinischen Bank
In der Öffentlichkeit gab Zumwinkel sich bescheiden, abseits davon aber genoss er das Leben eines Schlossherrn auf seiner 800 Jahre alten Burg hoch über dem Gardasee in Italien. Fünf Millionen Euro ist die Immobilie wert, die Zumwinkel vor Gericht zunächst als „Feriensitz“ bezeichnet und die er mit viel Aufwand zur Luxusherberge samt Fußbodenheizung umbauen ließ. Als junger Mann schon gönnte er sich einen Porsche.
Er hat den Umgang mit viel Geld von Kindheit an gelernt. Die Eltern führten ein gut gehendes Einzelhandelsunternehmen. Sein acht Jahre älterer Bruder Hartwig hatte die Familienfirma zunächst weitergeführt und dann erfolgreich an den Handelskonzern Rewe verkauft. Zumwinkel wollte eine andere Karriere machen: Über einen Master-Abschluss in Philadelphia ging es zu McKinsey, dann als Chef zu Quelle und danach zur Post.
Ein Ausnahmemanager war Zumwinkel, als solcher sah er sich selbst. Den Richter korrigiert er, wenn der seinen Aufstieg bei der Post nicht ganz korrekt wiedergibt. Nun bekommt er einen sehr gewöhnlichen Prozess, darauf legt Richter Mittrup wert. Am Montag schon will er das Urteil verkünden. „Es ist ein ganz normaler Prozess, wenn man ihn mit anderen Strafverfahren bei Steuervergehen vergleicht“, sagt Ralf Wojtek, Anwalt der Hamburger Kanzlei Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek. „Es ist aber gut zu beobachten, wie auch eine Person des öffentlichen Interesses wie Klaus Zumwinkel durch diesen Vorfall zur Normalität zurückgeführt wird. Seine Leistung wird nun viel nüchterner betrachtet werden“, sagt Wojtek.
Die früheren Dienstbefohlenen tun das schon. Zumwinkel, Manager des Jahres und Inbegriff der deutschen Leistungselite, ist für viele Postler heute ein Heuchler. In der Kneipe „Zur Postkutsche“ neben dem Bochumer Landgericht regen sie sich über seine Pension auf. Angeblich 93.000 Euro im Monat bekommt er, bis ans Lebensende. Er, der Ehrlichkeit und Disziplin von seinen Leuten verlangte, habe an sich selbst ganz andere Maßstäbe angelegt, sagt ein Postler.
Wie Zumwinkel über seine privaten Finanzen denkt, war schon unmittelbar vor Bekanntwerden seiner Steuerhinterziehung zu erkennen. Im Dezember 2007 verkaufte der damalige Konzernchef Post-Aktien für fast fünf Millionen Euro – genau zum Zeitpunkt, als der Kurs einen besonders hohen Stand erreicht hatte. Die Aktie war in die Höhe geschossen, weil Zumwinkel kurz zuvor den Mindestlohn für Briefträger politisch durchgesetzt und dem Konzern so private Konkurrenz vom Leibe gehalten hatte. Zwar bemühte er sich hinterher darum, das Aktiengeschäft als Versehen und nicht als Berechnung darzustellen. Aber nicht nur im Unternehmen Post wird dies anders interpretiert: als die Entscheidung eines cleveren Geschäftsmannes.
Dieser Aktienverkauf kommt vor Gericht nicht zur Sprache, selbst wenn er bei der Auflistung des privaten Vermögens von Zumwinkel durchaus Bedeutung hat. Richter Mittrup gibt sich stattdessen mit den Angaben des Angeklagten zufrieden: Die Burg und ein Vermögen von etwa acht Millionen Euro seien sein Besitz, sagt Zumwinkel. Dabei müssten sich aus dem Aktienverkauf im Jahr 2007 und dem Kontostand in Liechtenstein von elf Millionen Euro im Jahr 2006 ganz andere Summen ergeben. Auch dann, wenn bereits gezahlte Steuernachforderungen davon abgezogen werden. Der Gerichtsprozess ist in manchen Punkten nicht mehr als ein formelles Gefecht.
Auch ein zweiter Fall könnte für Zumwinkel nun rasch zu Ende gehen: die Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Telekom. Er betrifft die illegale Aufzeichnung von Telefonverbindungen und die Frage, was Zumwinkel als Telekom-Aufsichtsratschef davon wusste. Noch hat die zuständige Staatsanwaltschaft in Bonn keine Anklage gegen ihn erhoben, und sie wird es vielleicht auch gar nicht mehr tun. „Es wäre nicht unüblich, wenn die Ermittlungen gegen Zumwinkel nach dem Urteil in Bochum eingestellt werden. Das passiert bei mehreren Verfahren gegen eine Person regelmäßig, um die Staatsanwaltschaften zu entlasten“, sagt Anke Müller-Jacobsen, Strafverteidigerin der Berliner Kanzlei Ignor & Partner.
Zumwinkel wird am Montag wohl als freier Mann das Gericht verlassen. Eine Gefängnisstrafe wird es kaum geben. Sollte sich auch der Telekom-Fall in Wohlgefallen auflösen, muss er sich nicht mehr verstecken wie in den vergangenen zwölf Monaten. Er wird mehr Zeit in Italien verbringen und mit dem Motorboot über den Gardasee fahren. „Ich werde die Folgen meiner Tat tragen, auch wenn die schmerzlich sind“, verspricht Zumwinkel dem Richter. Die müssten sich dort aushalten lassen.
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 11:36 Uhr


Zumwinkel legt Reichtümer offen – und gibt alles zu

DPA
Klaus Zumwinkel verschliesst die Augen nicht mehr vor der Wahrheit.
Vor Gericht gesteht Klaus Zumwinkel, Steuern hinterzogen zu haben. "Das war der größte Fehler meines Lebens", sagt der ehemalige Post-Chef. Er hofft auf ein mildes Urteil. Der Richter stellt klar: Für Zumwinkel wird es keine Sonderbehandlung geben. Dennoch läuft alles auf eine Bewährungsstrafe hinaus.
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Zumwinkel vor Gericht
"Otto“ ist das erste Wort, das Klaus Zumwinkel sagt. Richter Wolfgang Mittrup hat den ehemaligen Chef der deutschen Post und jetzigen angeklagten Steuersünder nach seinen Vornamen gefragt, und außer Klaus nur noch Peter und Richard verlesen. Zumwinkel aber will von Anfang an präzise sein. Die ruhige Stimme soll seine Aufgeregtheit überspielen. Bloß keinen Fehler machen, das haben ihm seine Anwälte eingeimpft. Also erwähnt er den vierten Namen gleich als erstes beim Prozessauftakt vor dem Bochumer Landgericht.
Bei aller Präzision gibt es auch Lücken im Gedächtnis des 65-Jährigen, der sich äußerlich in den vergangenen zwölf Monaten kaum verändert hat. Wie alt sein Vater geworden und wann er gestorben sei, will der Richter wissen. „Ende des 19. Jahrhunderts ist er geboren, aber ich bin mir da nicht so sicher“, sagt Zumwinkel, und dass der Vater „im siebten Lebensjahrzehnt“ verstorben sei. Die Mutter sei „in den 90ern gestorben“.
Es ist auffallend, wie unterschiedlich sich Zumwinkel erinnert: Jede Einzelheit zum Aufbau der Deutschen Post und seinem Berufsweg kann er abrufen. Familiäre Dinge aber oder manche Zeitpunkte fallen ihm nicht mehr ein.
Aber darauf wird es wohl beim Urteil nicht ankommen. Denn schon nach dem ersten Tag für Zumwinkel am Bochumer Landgericht ist erkennbar, dass der Richter mit ihm kurzen Prozess machen will. Keine fünf Minuten braucht Staatsanwältin Daniela Wolters, um die Anklage zu verlesen. Und Richter Mittrup zieht den Turbo-Prozess anschließend mit der Vernehmung Zumwinkels und Einzelheiten seiner Steuervergehen bis kurz nach halb drei Uhr nachmittags konsequent durch. Schon zur Kaffeezeit darf Zumwinkel dann über die Tiefgarage wieder nach Hause in seine Kölner Villa fahren – im abgedunkelten Kastenwagen.
Am nächsten Montag wird zunächst die Staatsanwaltschaft ihr Strafmaß fordern. Und gleich nach der Mittagspause könnte Mittrup dann schon das Urteil verlesen. Mehr als diese beiden Prozesstage soll es nicht geben.
Bis zum Montag werden alle Seiten – Zumwinkel mit seinem Anwalt Hanns Feigen, Richter Mittrup sowie Staatsanwältin Wolters – noch miteinander reden. Dass es angeblich eine Absprache geben soll, hat schon vor dem Prozess die Runde gemacht. Gleich am Anfang des ersten Prozesstages stellt Richter Mittrup deshalb klar, dass dies ein Verfahren wie jedes andere auch bei Steuervergehen sein wird – trotz des prominenten Angeklagten.
„Es gibt hier keine Sonderbehandlung, weder im Positiven, noch im Negativen“, sagt der Richter, ein Westfale, mit bestimmtem Ton. „Absprachen irgendwelcher Art im Vorfeld gab es nicht“, fügt er hinzu. Aber es sei ebenso selbstverständlich, dass in derartigen Strafprozessen miteinander gesprochen werde.
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Steinbrück plant Sanktionen gegen Steueroasen
Klaus Zumwinkel packt vor Gericht aus
Zumwinkel gesteht reumütig Steuerhinterziehung
Mittrup gilt als äußerst bestimmt. Seit elf Jahren ist er Vorsitzender Richter an der 12. großen Strafkammer für Wirtschaftsstrafsachen in Bochum. Steuerhinterziehung ist für den 56-Jährigen ein bekanntes Geschäft – fast täglich hat er mit solchen Prozessen zu tun – mit Prominenten vom Schlage Zumwinkels aber noch nicht.
Am kommenden Montag jedenfalls will ein fünfköpfiges Gremium das Urteil verkünden: Richter Mittrup mit seinen beiden Bochumer Kollegen Felix Bahrenberg und Christine Katzer sowie zwei Schöffen. Deren Namen sind nicht bekannt, sie wurden per Losverfahren ausgewählt. Diese fünf Personen müssen sich mit einer Stimmenmehrheit von mindestens vier zu eins auf ein Urteil verständigen. Allerdings ist es eine Seltenheit, dass Schöffen am Gericht gegen die Berufsrichter stimmen.
Zumwinkel drohen bis zu fünf Jahren Haft. Dass die Strafe so hoch ausfällt, ist unwahrscheinlich. Denn das Bochumer Landgericht selbst hat die Richtung für die Liechtenstein-Prozesse vorgegeben: Im vergangenen Juli verurteilte das Gericht im ersten großen Fall von Steuerhinterziehung den ehemalige Immobilienhändler Elmar S. aus Bad Homburg zu zwei Jahren auf Bewährung und einer Geldstrafe von fast acht Mio. Euro. Er hatte acht Mio. Euro an Steuern hinterzogen, acht Mal so viel wie Zumwinkel. Der Mann war geständig und hat von Anfang an mit der Staatsanwaltschaft kooperiert – wie Zumwinkel.
Und so wäre am kommenden Montag alles andere als eine Bewährungsstrafe von höchstens zwei Jahren sowie eine hohe Geldbuße eine dicke Überraschung. Basis dafür ist Zumwinkels Geständnis, das zum Prozessauftakt eindeutiger nicht hätte ausfallen können.
„Ich will nicht drumherum reden: Der Vorwurf trifft zu. Ich habe die Einkünfte aus Kapitalanlagen in den genannten Jahren nicht versteuert“, beginnt Zumwinkel nach der Mittagspause seine Äußerung zur Anklage. „Das war der größte Fehler meines Lebens“, fügt er an. Er werde die Folgen tragen, und er bereue die Tat. Damit ist klar, dass Zumwinkel kein Risiko eingehen will: Er ist vor Gericht der reuige Sünder, der nichts beschönigt und verteidigt. Nur so, das wissen seine Anwälte, kann er auf ein mildes Urteil hoffen.
Richter Mittrup lässt die Worte Zumwinkels wirken. Umsichtig, fast umständlich fragt er nach, wieso Zumwinkel das getan habe. „Ich wollte einmal versteuertes Geld nicht noch einmal versteuern müssen“, kommt die unmissverständliche Antwort. Alles Geld in der Stiftung sollte der Familie zugute kommen – ohne Abstriche durch den Staat. Und warum er nicht irgendwann die Reißleine gezogen und das Steuervergehen gestoppt habe, will der Richter wissen. „Ich hatte große Angst, dass durch Indiskretionen dies an die Öffentlichkeit kommen könnte. Dann wäre mein Beruf so belastet worden, dass es ein Desaster herbeigeführt hätte“, antwortet Zumwinkel. Dann entschuldigte er sich noch dafür, vor allem „bei denjenigen, mit denen ich beruflich zu tun hatte.“
Exakt 917.361 Euro hat Zumwinkel nach den Zahlen des Richters zwischen 2002 und 2006 an Steuern hinterzogen, hinzu kommt der Solidaritätszuschlag. Rund 970.000 Euro sind das zusammen. Geschehen ist dies über seine „Devotion Family Foundation“ in Liechtenstein bei der LGT-Bank. Zweck dieser „Hingabe“ genannten Stiftung war die „wirtschaftliche Unterstützung“ der Familienmitglieder Zumwinkels. Zum Zeitpunkt der Anklage gegen ihn stand Zumwinkels Konto in Liechtenstein bei gut elf Mio. Euro.
Niemals Armut erlebt
Zumwinkel hat Zeit seines Lebens keine Not gelitten. Diese Erkenntnis arbeitet Richter Mittrup in seiner Befragung des Angeklagten akribisch heraus. Die Eltern führten ein gut gehendes Handelsunternehmen mit Textilläden und Lebensmittelgeschäften. Zumwinkels Bruder Hartwig, der acht Jahre älter ist, hat diese Firmen übernommen. Beim späteren Verkauf an die Rewe Handelsgruppe fiel ein Teil des Erlöses an Zumwinkel, der wiederum einen Teil davon in Liechtenstein anlegte.
Heute besitzt der ehemalige Postchef eine Immobilie in Italien, und er verfügt über ein Geld- und Aktienvermögen von etwa acht Mio. Euro. Auf Fragen des Richters danach spricht Zumwinkel zunächst von einem „Feriensitz“ am Gardasee, später dann von seiner „Burg“. Sie hat heute einen Wert von rund fünf Mio. Euro. Gekauft hat Zumwinkel das Anwesen vor zehn Jahren, und er hat es anschließend für etwa 700.000 Euro renoviert. So fehlte etwa eine Fußbodenheizung in dem betagten Gemäuer.
Ein Boot, ein Audi und ein BMW Geländewagen kommen noch als persönlicher Besitz dazu. Das war es dann mit den Reichtümern Zumwinkels, wie er sie vor Gericht schildert. Und natürlich die Stiftung in Vaduz nicht zu vergessen.
Fast wirkt die Befragung wie ein Gespräch zwischen Zumwinkel und seinem Richter: In der Art eines guten Onkels erklärt der ehemalige Topmanager seine Berufslaufbahn und persönliche Situation. Als von seiner Begeisterung für das Bergwandern die Rede ist, kommt bei Zumwinkel wieder Selbstbewusstsein auf: „Wenn ich das ergänzen darf, Herr Vorsitzender, ich bin Bergsteiger“, stellt er richtig.
Jede Minute im großen Gerichtssaal macht es deutlicher: Zumwinkel will sich hier als normaler Mensch präsentieren. Als Ehemann, der seit 37 Jahren mit Frau Antje verheiratet ist. Als Vater von drei Kindern, von denen eines schon nach dem ersten Lebensjahr verstorben ist. Und als Manager, der einen großen Aufstieg geschafft und der einen noch viel größeren Fehler gemacht hat. Die Strafe dafür will er auf sich nehmen. Wenn sein Kalkül aufgeht, bleibt ihm über diesen Weg das Gefängnis erspart.
Zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 22. Januar 2009, 14:31 Uhr


Top-Manager verschleudern ihre Firmenflieger

dpa
Zu verkaufen: Zahlreiche Firmen-Chefs in Europa wollen ihre luxuriösen Jets loswerden. Die Preise verfallen.
Deutsche Chefs und Superreiche flogen bis vor kurzem stolz in firmeneigenen Jets um die Welt. Die Finanzkrise zwingt zum Umdenken. Derartiger Luxus schadet laut Experten dem Image – wenn zugleich Mitarbeiter entlassen werden. Eine Folge: Die Preise für die schicken Flugzeuge sind abgestürzt.
Aus Imagegründen verkaufen Konzerne überall auf der Welt ihre Businessjets. Europaweit gibt es rund 1200 Privatjets, die im Besitz von Unternehmen oder Superreichen sind. Jedes zehnte dieser Flugzeuge steht zum Verkauf. Das ergab eine Untersuchung der Business-Jet-Fluggesellschaft Jet Republic, die WELT ONLINE vorliegt. Deutschland ist laut der Studie mit 300 Maschinen der größte europäische Privatfliegermarkt. Hierzulande wollen sogar 15 Prozent ihrer Eigner die teuren Statussymbole im Wert von insgesamt 636 Millionen Dollar loswerden.
General Motors, Ford, Citigroup, AT&T, Time Warner und die Royal Bank of Scotland hatten angekündigt, ihre Privatflieger zu verkaufen. Das hat vor allem Imagegründe, glauben Experten. „Als Manager wäre es glatter Selbstmord, Hunderten von Mitarbeitern zu kündigen und gleichzeitig weiter im Firmenflieger um die Welt zu jetten“, sagt Ulrich Horstmann, Luftfahrtexperte der Bayerischen Landesbank.
Nutznießer der neuen vermeintlichen Bescheidenheit der Topmanager sind dagegen Firmen wie Netjets, Lufthansa Privat Jet oder Jet Republic, die ihre Kunden wie ein exklusives Taxiunternehmen durch die Luft fliegen. „Wir profitieren vom Verkauf dieser Privatjets“, sagt Jet-Republic-Chef Jonathan Breeze.
Denn viele Vorstände würden zwar aus Imagegründen keine eigene Maschine mehr im Hangar stehen haben wollen. Auf den Luxus, im Privatflugzeug um die Welt zu fliegen, möchten aber offenbar die wenigsten verzichten.
Der Verkauf der Maschinen ist dagegen derzeit nicht einfach. „Die Preise für Privatflieger sind auf dem Secondhand-Markt extrem gefallen “, sagt Axel Beimdiek, Vertriebsmanager des Privatjethändlers Air Alliance. Die Firma aus dem Siegerland kauft Maschinen auf, richtet sie her und verkauft sie dann wieder.
Nachdem die Preise jahrelang stiegen, stockt seit einem Jahr das Geschäft. „Pro Quartal sinken die Preise derzeit um fünf Prozent“, sagt Beimdiek. Laut Jet Republic kostet ein durchschnittlicher Businessjet knapp 16 Millionen Dollar.
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 11:36 Uhr


Der Staat muss den Banken wohl oder übel helfen

dpa
Die Zentrale des 480 Milliarden Euro schweren Rettungsfonds Soffin in Frankfurt: So recht drängt es niemanden an dessen Spitze.
Während Finanzminister Steinbrück noch einen neuen Leiter für seinen Bankenrettungsfonds sucht, schlägt die Wirtschaft Alarm: Die Banken müssten von den toxischen Papieren in ihren Bilanzen befreit werden, sonst wird alles noch schlimmer. Berlin ist sich der Dramatik der Situation bewusst, eine Lösung muss schnell her.
Mit diesem Anrufer rechnen auch ehemalige Chefs von Landesbanken und privaten Geldhäusern nicht täglich. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück nahm in den vergangenen Tagen die Suche nach einem neuen Leiter für die derzeit wohl wichtigste staatliche Institution selbst in die Hand, den Bankenrettungsfonds Soffin. Doch trotz des persönlichen Ministereinsatzes am Telefon und eines klaren Anforderungsprofils – der Neue muss Bilanzen lesen können und Cheferfahrung haben – gestaltet sich die Besetzung schwierig. Die Begeisterung der Kandidaten hält sich in Grenzen.
Sie wissen spätestens seit dem Rücktritt von Günther Merl, dass der Soffin-Posten ein anstrengender Vollzeitjob ist und ohne wirkliche Entscheidungsgewalt – am Ende hat immer die Politik das Wort. Vor allem aber können die von Steinbrück Angerufenen erahnen, dass die eigentliche Herkulesaufgabe erst noch vor dem Rettungsfonds liegt.
Die bisherigen Hilfsmaßnahmen des Soffin für die heimische Finanzwirtschaft reichen bei Weitem nicht. Rund 18 Milliarden Euro Kapitalspritze für die Commerzbank und über 100 Milliarden Euro als Garantien, damit Häuser wie der Münchner Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate, die Mittelstandsbank IKB und einige Landesbanken neue Anleihen ausgeben können, haben das grundsätzliche Problem nicht gelöst. Die Banken melden immer neue Verluste in Milliardenhöhe, immer mehr Papiere in den Bilanzen müssen sie im Wert berichtigen oder ganz abschreiben. Und untereinander herrscht unverändert großes Misstrauen. Die Banken leihen sich gegenseitig weiterhin kaum Geld.
Je nach Zählweise sitzen die Geldhäuser noch auf Problempapieren mit einem Nominalwert von bis zu einer Billion Euro – das sind 1000 Milliarden Euro oder zwei Drittel der Schulden, die die Bundesrepublik seit ihrer Gründung aufgebaut hat. Darunter fallen nicht mehr nur die verbrieften Immobilienkredite, mit denen vor bald zwei Jahren die ganze Krise begann. Mittlerweile zählen Experten selbst italienische Kommunalanleihen dazu, da auch sie nur noch mit hohen Preisabschlägen wieder verkauft werden können – womit weitere Abschreibungen drohen, die noch mehr Eigenkapital der Banken vernichten.
"Wir brauchen dringend eine Lösung für die toxischen Papiere der Banken“, sagt kein Banker, sondern Anton Börner, Präsident des Bundesverbandes des deutschen Groß- und Außenhandels (BGA). Die Wirtschaft brauche voll handlungsfähige Banken, die ohne Einschränkung Kredite vergeben könnten. Ansonsten drohe sich die Wirtschaftskrise zu beschleunigen. Allein schon die Erwartung einer Kreditklemme habe die Unternehmen des Groß- und Außenhandels weitaus vorsichtiger gemacht. „Sollte sich die Lage in der Bankenbranche weiter verschärfen, ist damit zu rechnen, dass rund ein Viertel des Auftragsvolumens des Groß- und Außenhandels an die deutsche Industrie wegfällt.“ Das wären rund 90 Milliarden Euro.
Weiterführende Links
Die neuen Herausforderungen für Josef Ackermann
Banken sitzen noch massenhaft auf Gift-Papieren
Finanzkrise reißt DZ Bank in die roten Zahlen
Garantien für HRE auf 42 Milliarden Euro erhöht
Deutsche Bank leidet unter Hedgefonds-Verlusten
Dem Rettungsfonds Soffin gehen die Retter aus
Regierung erwägt Gründung einer "Bad Bank light"
Regierung tüftelt an neuem Banken-Rettungspaket
John Thain tritt bei Bank of America zurück
Ein paar schlechte Banken für Deutschland
In Berlin ist man sich der Dramatik der Situation durchaus bewusst. Etliche Pläne sind in den Schubladen. Welcher am Ende realisiert wird: Niemand weiß es.
So könnten die Banken ihre schlechten Papiere auslagern. Je nach Umfang des zu erwartenden Verlusts erhalten sie dann vom Staat Kapitalspritzen. Dafür bekommt dieser wiederum Aktienpakete an den Instituten. Der Staat wird Eigentümer der Banken – zumindest derer, die besonders viele Ramschpapiere besitzen.
Wie dieser Prozess genau geschehen soll, ist allerdings umstritten. Reicht eine zentrale Einrichtung, eine klassische „Bad Bank“, die den Geldhäusern den Giftmüll komplett abkauft und so die Bilanzen bereinigt? Oder soll es besser kleine, auf die ganz eigenen Probleme jedes Instituts zugeschnittene Einheiten geben?
"Ich bin für eine zentrale Sammelstelle“, sagt Bankenprofessor Michael Grote von der Frankfurt School of Finance & Management. Natürlich dürfe der Staat die Papiere nicht einfach zu den noch in den Bilanzen der Banken stehenden Nominalwerten kaufen – das könnten dann die genannten bis zu eine Billion Euro sein –, sondern nur zu den aktuellen Marktwerten, die oft bei einem Bruchteil liegen. Sonst würden die Fehler der Manager gleich mit ausgelagert. „Die Banken müssen die Verluste tragen, der Steuerzahler darf damit nicht noch zusätzlich belastet werden“, sagt Grote. Sollten die damit einhergehenden Verluste das Eigenkapital zu sehr schmälern, müsste der Staat einspringen – im Tausch gegen Anteile an den Häusern.
Auch sein Kollege Dirk Schiereck von der TU Darmstadt sieht in einer zentralen "Bad Bank“ den bestmöglichen Weg. "In einer solchen Institution würde das Spezialistenwissen konzentriert“, sagt er. Die Verwaltung und Abwicklung der Papiere könnten Investoren mit viel Erfahrung übernehmen, wie etwa der Private-Equity-Fonds Lone Star. "In drei bis fünf Jahren wäre die Sache durch“, sagt Schiereck.
Die Politik hält nichts von einer zentralen Stelle. „Mit der großen Koalition wird es keine ,Bad Bank‘ geben“, sagt Otto Bernhardt, finanzpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Den Banken müsse geholfen werden, ohne den Steuerzahler mit weiteren Risiken zu belasten. Hätte die Stelle die Papiere erst übernommen, säße der Steuerzahler auf den Risiken. Auch vom Spezialistenargument halten Regierungskreise nichts. So viele Experten gebe es gar nicht. Zu verschieden seien die Produkte, zu unterschiedlich die Banken. Daher favorisiert Berlin Einzellösungen.
Die Banken könnten Zweckgesellschaften gründen, die Risiken würden staatlich abgeschirmt. „Wichtig ist uns, dass die finanziellen Risiken jederzeit jedem Institut zugewiesen werden können“, ist zu hören. Sollte es nach der Auslagerung zu weiteren Verlusten kommen, würden die Aktionäre zusätzlich bluten. Umgekehrt könnten sie profitieren, wenn es nicht ganz so schlimm kommt. In der Diskussion ist aber auch ein Mittelweg: Zentrale Giftmüllsammelstellen für jede Säule – für öffentlich-rechtliche Landesbanken und Sparkassen, private Großbanken sowie Genossenschaftsbanken. Doch dies scheint zunächst einmal vom Tisch.
Noch läuft der „Werkstattprozess“, wie es aus Reihen der Bankenaufsicht heißt. Die Klärung aller Details könnte Wochen dauern. Welche Papiere dürfen überhaupt, an welche Stelle auch immer, ausgelagert werden? Und zu welchem Preis? Es sind knifflige Fragen, die geklärt werden müssen. „Da sollten nur solche Forderungen rein, die von der Bank schon vor der Lehman-Pleite eingegangen wurden“, sagt Professor Schiereck. Zudem dürften es nur besonders komplexe Produkte sein, deren Bewertung die Banken vor große Probleme stellt. „Staatsanleihen gehören da sicherlich nicht zu.“ Je nach Kategorisierung schwanken die Summen erheblich – zwischen 300 Milliarden und einer Billion Euro.
Das ganze Problem ist hochpolitisch. Wenn die Banken mehr Geld vom Staat bekommen, könnten auch andere Industrien schon bald vorstellig werden. „Wir fürchten ein Rattenrennen um Subventionen“, heißt es aus Berlin. Da erscheint es trotz etlicher Absagen schon fast wie eine leichte Aufgabe, einen Chef für die Rettungsbehörde Soffin zu finden. Der, so ist aus Regierungskreisen zu hören, soll spätestens bis Anfang dieser Woche gefunden sein.
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 11:36 Uhr