Samstag, 24. Januar 2009

Obamas erste 100 Stunden glichen einem Tsunami

dpa
Der Tatendrang des neuen Präsidenten könnte bald schon die Große Koalition in Berlin in Schwierigkeiten bringen.
Guantánamo, Abtreibung, Stammzellenforschung: In seinen ersten 100 Stunden im Amt hat US-Präsident Barack Obama die Politik seines Vorgängers fast komplett revidiert. Der Tatendrang des neuen Präsidenten könnte bald schon die Große Koalition in Berlin in Schwierigkeiten bringen.
FOTOGALERIEN
Obamas Amtsantritt
Amerika feiert Obama
Samstagnachmittag um 16 Uhr ist Barack Obama seit 100 Stunden im Amt. Seine Töchter Sasha und Malia haben ihre erste Übernachtungseinladung für Freunde gegeben, und ihr Vater hat zweimal den Kraftraum des Weißen Hauses ausprobiert. Obama hat auch die Abläufe im Oval Office verändert. Statt um acht wie bei George W. Bush beginnt die Geheimdienstlage nun erst um viertel nach neun. Obama ist kein Morgenmensch; er braucht Zeit, um sein 1000-Watt-Lächeln anzuschalten. Dafür gibt es nun neben der CIA-Unterrichtung auch eine tägliche Runde zur Wirtschaftslage, mittags um eins.
Weiterführende Links
Wie die Obama-Fans jetzt mitregieren dürfen
Obama wiederholt Amtseid – Pläne für Irak-Rückzug
Guantánamo-Schließung – Obamas erstes Problem
Barack Obama verirrt sich im Weißen Haus
Aber auf die Arbeitszeiten kommt es weniger an als darauf, was ein Präsident an seinem Arbeitstag tut. Obamas erste 100 Stunden glichen einem kontrollierten Tsunami, der tragende Pfeiler der Politik George W. Bushs zum Einsturz brachte. Obama untersagte Foltermethoden bei Verhören. Er ordnete die sofortige Schließung aller verbliebenen CIA-Geheimlager in Übersee und die Auflösung des Internierungslagers Guantánamo binnen eines Jahres an. Und er telefonierte mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und bekräftigte seinen Willen zu einer engen Zusammenarbeit gegen Klimawandel, Armut und Terrorismus.Der Präsident wies die Aufsichtsbehörde für Arzneimittel an, eine Studie zu Heilungschancen durch embryonale Stammzellen zu genehmigen. Die staatliche Förderung der Genforschung mit Föten hatte Bush 2001 untersagt. Obama hob das Verbot auf, US-Entwicklungshilfe an Staaten zu geben, die Abtreibung unterstützen. Er verbot den Beamten seiner Regierung, als Lobbyist in die Wirtschaft zu wechseln, falls solche Arbeitgeber bei Bundesbehörden um Einfluss werben. Das Verbot gilt für Obamas gesamte Amtszeit. Der Präsident fror die Gehälter der Spitzenbeamten ein. Er befahl den Bundesbehörden, Auskunftsersuchen von Bürgern zügig zu bearbeiten und ordnete an, dass das Nationalarchiv großzügig Einsicht in die Akten früherer Präsidenten gewährt.
Wesentlich am Kurswechsel beteiligt ist das „Büro für Rechtsfragen“ im Justizministerium. Seit Dienstag steht es unter der Leitung einer linksliberalen Professorin. Es prüft, ob Regierungshandeln rechtskonform ist. Das Ergebnis bindet alle Minister, Zuwiderhandlung ist strafbar, nur der Oberste Gerichtshof kann das Urteil ändern. Das „Büro für Rechtsfragen“ ist eine Schaltstelle, für deren Macht es in Deutschland kein Gegenstück gibt. Mit solcher Autorität hatte es unter Bush die CIA-Verhörmethoden für rechtens erklärt und Widerstand dagegen erstickt. Obama hat nun den Rücken frei.
Mit den meisten seiner ersten Erlasse nahm er Maßnahmen Bushs zurück, gegen die vor allem junge Aktivisten Sturm gelaufen waren. CIA-Verhöre, Abtreibung, Stammzellforschung und Dokumenteneinsicht zählten zu deren Erregungsthemen. Obama möchte die Aktivisten für den Kongresswahlkampf 2010 bei der Stange halten. Seine gewaltige Wahlkampforganisation wurde von ihnen getragen.
Letzte Woche hat Obama diese Organisation mit der Demokratischen Partei verschmolzen. Das war keine Zwangsmitgliedschaft, es gibt in den USA keine Parteibücher. Der Schritt bedeutet vielmehr, dass seine junge, engagierte Gefolgschaft nächstes Jahr auch für die demokratischen Abgeordneten ausschwärmt. Obama steigert damit seinen Einfluss in der Fraktion dramatisch. Das wird ihm helfen, Gesetze durchzudrücken, die auf Widerstand stoßen.
Der Obama-Tsunami wird bald auch Berlin erreichen. Bei einem Auftritt im Außenministerium kündigte der Präsident am Freitag an, Afghanistan zu einem Schwerpunkt seiner Politik zu machen. „Schwere Zeiten liegen vor uns. So wie wir von uns mehr verlangen, so suchen wir neue Partnerschaften und verlangen mehr von unseren Freunden und den Völkern der Welt.“ Das könnte der Koalition im Wahljahr zu schaffen machen. Amerika, sagte Obama, „wird Dahindriften oder Hinauszögern nicht länger tolerieren.“ Er ließ durchblicken, dass er auch auf zivile Projekte setze. Aber „die Welt muss begreifen, dass die USA Terroristen gnadenlos jagen wird.“ Zur selben Zeit schlugen in Westpakistan Raketen ein. Den Angriff auf zwei Al-Qaida-Ziele hatte Obama genehmigt.
Die US-Presse begehrte derweil gegen angebliche Geheimnistuerei des Weißen Hauses auf. 100 Stunden war Obama Präsident, aber noch kein einziges Mal hat er die Medien ins Oval Office gelassen. Als er Donnerstag den Amtseid wiederholte, weil es am Dienstag zu Versprechern gekommen war, durfte nur Obamas Fotograf dabei sein. Prompt weigerten sich die Bildagenturen, das Foto zu verwenden. Der neue Sprecher des Weißen Hauses musste sich beim ersten Auftritt harsche Fragen anhören.
Auch der neue Sprecher des Außenministeriums hatte bei seiner ersten Pressekonferenz kein Glück. Er sagte, Hillary Clinton habe mit ihrem Prager Kollegen telefoniert, „denn die Tschechoslowakei hat ja den EU-Vorsitz inne“. Den Hinweis auf deren Ableben vor 16 Jahren quittierte er mit: „Entschuldigung, Tschechische Republik. So was kommt halt vor.“ Condoleezza Rices Sprecher wäre in der Luft zerrissen worden.
Zudem stellte sich heraus, dass das Quartett mit dem Cellisten Yo Yo Ma seinen Auftritt bei Obamas Amtseinführung nur gemimt hatte. Die Musik stammte von einem Tonband. Bei den Minusgraden hätten die empfindlichen Instrumente nicht bespielt werden können. Unter Obamas Vorgänger hätte es geheißen: Das Konzert war eine Irreführung der Weltöffentlichkeit, so wie der Plastiktruthahn, den Bush am Erntedankfest 2003 Soldaten in Bagdad serviert hatte. Aber Barack Obama hat 100 Tage Schonfrist, und davon sind erst 100 Stunden um.
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 13:44 Uhr


Papst Benedikt XVI. rehabilitiert Holocaust-Leugner
Wiederholt hat der ehemalige Bischof Richard Williamson das volle Ausmaß des Völkermordes an den Juden geleugnet. Zuletzt sagte er im schwedischen Fernsehen: "Ich glaube, dass es keine Gaskammern gegeben hat." Papst Benedikt XVI. rehabilitierte den Briten nun – trotz Protesten jüdischer Organisationen.
FOTOGALERIEN
Der Papst in Australien
Papst Benedikt XVI. in den USA
Williamson ist einer von vier Anhängern des gestorbenen traditionalistischen Erzbischofs Marcel Lefebvre, die vor 21 Jahren exkommuniziert wurden. Papst Benedikt XVI. machte heute die Exkommunikation rückgängig. Dabei setzt er die Versöhnung mit dem Judentum erneut aufs Spiel. Bereits die Neufassung der Fürbitte für die Juden in der von ihm 2007 wieder rehabilitierten alten lateinischen Messe sorgte für Spannungen. Denn darin war die Bitte um Bekehrung der Juden weiterhin enthalten. Die Traditionalisten aber hielten bislang an der alten, nicht entschärften Fassung der Fürbitte fest, die für Juden noch beleidigender ist.
Zudem läuft in Regensburg seit wenigen Tagen ein Ermittlungsverfahren gegen den Briten Richard Williamson. Er soll beim Besuch eines bayerischen Priesterseminars den Holocaust geleugnet haben. Er hat bereits zuvor das volle Ausmaß des Völkermords an den Juden während des Nationalsozialismus bestritten. So hatte er zuletzt am Mittwoch im schwedischen Fernsehen gesagt: „Ich glaube, dass es keine Gaskammern gegeben hat.“ Zudem behauptete er, in den deutschen Konzentrationslagern seien nicht sechs Millionen Juden getötet worden, sondern lediglich bis zu 300.000.
"Eine tiefe Wunde"
Weiterführende Links
Der Papst und der Vorwurf der Homophobie
Benedikt XVI. fordert Reform des Weltfinanzsystems
Warum der Vatikan Männer vor der Pille warnt
Papst will rebellische Bischöfe versöhnen
Roms Chefrabbiner befürchtete, die Rehabilitation Williamsons werde „eine tiefe Wunde“ aufreißen. Die Dachorganisation der jüdischen Organisationen in Frankreich nannte Williamson einen „abscheulichen Lügner, dessen einziges Ziel es ist, den jahrhundertealten Hass gegen Juden zu schüren.“
In Israel war vor knapp zwei Wochen der Vergleich des Gazastreifens mit einem Konzentrationslager durch einen hochrangigen Papst-Berater auf scharfe Kritik gestoßen. Kardinal Renato Martino hatte in einem Interview gesagt: „Es ist immer die schutzlose Bevölkerung, die den Preis bezahlt. Schauen wir uns die Lebensbedingungen im Gazastreifen einmal an: Das ähnelt immer mehr einem riesigen Konzentrationslager.“ Ein Sprecher des Außenministeriums in Jerusalem erklärte daraufhin, das Vokabular Martinos sei schockierend und gleiche der Propaganda der radikal-islamischen Hamas.
Das spirituelle Unbehagen des Papstes
In dem heute veröffentlichten Dekret des Vatikans heißt es, Benedikt habe beschlossen, die kirchenrechtliche Situation der Bischöfe zu überdenken, weil er ihrem „spirituellen Unbehagen“ wegen der Strafe der Exkommunikation mit väterlicher Einfühlsamkeit begegne. Der Vatikan wolle die Einheit der Universalkirche fördern und damit den „Skandal der Spaltung“ überwinden. Der Papst glaube an die schriftliche Zusage der Traditionalisten, mit dem Heiligen Stuhl ernsthaft über Differenzen reden zu wollen.
Im Jahr 1988 war eine Einigung zwischen der Priesterbruderschaft Pius X. und dem damaligen Kurienkardinal Joseph Ratzinger geplatzt. Der „Dissident“ Lefebvre weihte trotz der Warnungen des Vatikans vier Priester zu Bischöfen. Daraufhin wurden Lefebvre und die Geweihten exkommuniziert. In den vergangenen Jahren hatte Bernard Fellay, einer der Geweihten und der Leiter der Bruderschaft, den zuständigen Kardinal Dario Castrillón Hoyos mehrfach gebeten, die Exkommunikation zurückzunehmen. Bei einer Einigung könnte die Bruderschaft den Status einer Personalprälatur ähnlich dem Opus Dei erhalten, hieß es damals.
Die Traditionalisten hatten im Juli 2008 auf ein „Ultimatum“ des Vatikans ihre Vorstellungen eines Dialogs erläutert. Sie sahen eine Rücknahme der Exkommunikation als günstig für eine Wiederannäherung an. Rom hatte von ihnen eine „der Großherzigkeit des Papstes entsprechende Antwort“ angemahnt. Sie sollten sich kein „über dem Heiligen Vater“ stehendes Lehramt anmaßen oder sich als gegen die Kirche gerichtet darstellen, hieß es vom Vatikan.
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 13:54 Uhr


Kita-Mörder trug Beil und kugelsichere Weste

dpa
Ein Amokläufer hat in einer Kindertagesstätte Kleinkinder attackiert.
Zwei Babys im Alter von sechs und neun Monaten und eine Erzieherin erstach der 20-jährige Attentäter Kim D. in der Kinderkrippe "Märchenland". Drei Psychater sollen nun das Motiv klären, denn der Täter schweigt. Offenbar hatte er die Tat lange vorher geplant. Und bei seiner Festnahme trug er eine kugelsichere Weste.
FOTOGALERIE
Amoklauf im Kinderhort
Nach dem blutigen Gemetzel in einer Kinderkrippe der belgischen Stadt Dendermonde sollen nun drei Psychiater die Motive des Täters ergründen. Dies sagte Staatsanwalt Christian Du Four. Der 20 Jahre alte Kim D., der kurz nach der Tat festgenommen worden war, schweige über die Gründe für sein Handeln. Er war am Freitag schwer bewaffnet in eine Kindertagesstätte eingedrungen und hatte dort auf die Kleinkinder - Höchstalter drei Jahre – eingestochen. Zwei Jungen unter zwei Jahren und eine 54 Jahre alte Erzieherin wurden getötet. Von zwölf Verletzten konnten fünf die Krankenhaus verlassen, alle anderen sind inzwischen ebenfalls außer Lebensgefahr.
Weiterführende Links
Studentin vor den Augen mehrerer Zeugen geköpft
Mann tötet Kinder und Betreuer bei Amoklauf
Der Kita-Mörder hatte es auf die Babys abgesehen
Bei dem Täter handele es sich um einen alleinwohnenden Arbeitslosen aus dem Ort Sinaai, zwölf Kilometer nördlich von Dendermonde. Der Mann habe bei seiner Festnahme eine kugelsichere Weste getragen sowie im Rucksack ein Messer, ein Beil und eine täuschend echt aussehende Spielzeugpistole gehabt. Im Kindergarten seien zwei weitere Messer gefunden worden, die ihm gehörten. „Aus dem Ablauf der Tat und den Waffen, die er bei sich trug, geht hervor, dass er alles geplant hatte“, sagte der Staatsanwalt. Entgegen anderslautenden Medienberichten habe der Täter aber keinen Plan von anderen Kindergärten bei sich getragen, die er auch noch heimsuchen wollte.
Ein Untersuchungsrichter hatte in der Nacht Haftbefehl wegen dreifachen Mordes und mehrfachen Mordversuchs erlassen. Du Four sagte, der junge Mann habe kein Geständnis abgelegt, sei aber von Zeugen einwandfrei identifiziert worden. Er habe „keine psychiatrische Vorgeschichte“ und habe vor der Tat auch weder Drogen noch Alkohol konsumiert.
Der Mann, der sich das Gesicht weiß und die Augenhöhlen schwarz geschminkt hatte, habe sich – weil der Haupteingang des Kindergartens verschlossen gewesen war – durch einen Nebeneingang Zutritt zu dem Gebäude verschafft, in dem sich zur Tatzeit 18 Kinder befanden. Von den Verletzten sei niemand mehr in Lebensgefahr, sagte der Bürgermeister von Dendermonde, Piet Buyse. Vier Kinder und ein Erwachsener seien aus den Kliniken entlassen worden. Lediglich ein Kind befand sich noch auf der Intensivstation.
Am Samstag herrschte in Belgien weiter Entsetzen über die Bluttat. „Schlaft sanft, kleine Englein“, stand auf einer von zahlreichen Karten, die trauernde Menschen vor dem Eingang der Kinderkrippe „Märchenland“ niederlegten – zusammen mit Dutzenden von Plüschtieren. „Niemand kann verstehen, wie jemand so etwas tun kann“, sagte Marianne van Cakenberg, eine von Hunderten Trauernden. Im Rathaus der Stadt lag eine Kondolenzliste aus, in die sich während des gesamten Samstags Menschen eintrugen.
Das schreckliche Verbrechen beherrschte auch die Kommentare der belgischen Zeitungen. „Wir müssen mit der Erkenntnis leben, dass wir unsere Kinder nicht vollständig schützen können. Eine Erkenntnis, die fast nicht zu ertragen ist“, schrieb „De Standaard“. Das Blatt „De Morgen“ meinte: „Konnte man dieses Drama verhindern? Ja, indem man vor jede Kinderkrippe eine Handvoll Polizisten stellt. Aber wer möchte sein Kind noch in solch eine Krippe bringen?“ „Flandern hat seine Unschuld verloren“, schrieb „Het Laatste Nieuws“. „Aber was macht jemanden so wahnsinnig, dass er sich an den Kleinsten vergreift?“
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 13:23 Uhr


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen