Samstag, 24. Januar 2009

Bekommen wir mehr als vier Millionen Arbeitslose?

dpa
Bundesarbeitsminister Scholz
Kurzarbeit wird zunehmen, ebenso die Zahl der Insolvenzen. Damit rechnet Bundesarbeitsminister Olaf Scholz. Trotzdem sieht er den deutschen Arbeitsmarkt besser aufgestellt als den anderer führender Industrieländer. Nur bei der Fragen nach Arbeitslosenzahlen fällt seine Antwort nicht mehr so klar aus.
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Die Finanzkrise einfach erklärt:Wie sie aus den USA zu uns kam
WELT ONLINE: Herr Minister Scholz, sämtliche Wirtschaftsexperten befürchten massive Arbeitsplatzverluste infolge der Wirtschaftskrise. Fühlt sich da der Arbeitsminister nicht ziemlich machtlos?
Olaf Scholz: Die Regierung ist nicht allmächtig, aber auch nicht machtlos. Der deutsche Arbeitsmarkt ist in vielerlei Hinsicht besser aufgestellt als andere in den führenden Industrieländern. Und welche Handlungsmöglichkeiten der Arbeitsminister hat, sehen Sie etwa daran, dass ich schon im letzten Jahr mit einer zügig erlassenen Verordnung die Förderdauer der Kurzarbeit von sechs auf 18 Monate erhöht habe. Jetzt entlasten wir die Betriebe in dieser Phase auch noch finanziell, indem der Staat die Hälfte der Beiträge zur Sozialversicherung übernimmt.
WELT ONLINE: Sie finanzieren die Arbeitsmarkt-Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise aus den Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit. Wie lange reichen diese Rücklagen?
Scholz: Wir haben 16 Milliarden Euro Rücklagen. Das Geld reicht bis weit in das nächste Jahr. Sollte die Krise Ende kommenden Jahres noch nicht überwunden sein, bekommt die Bundesagentur ein Darlehen aus dem Bundeshaushalt, mit dem wir die Maßnahmen weiterfinanzieren können, ohne den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung erhöhen zu müssen.WELT ONLINE: Sie sind nah dran an den Betrieben? Wer plant Kurzarbeit?Scholz: Kurzarbeit geht quer durch alle Branchen, vor allem durch jene, die mit der Automobilindustrie zusammenhängen. Wichtig ist: Wir sind auf einen großen Ansturm auf die Kurzarbeit vorbereitet. Wir haben die finanziellen Möglichkeiten und den Willen, sie einzusetzen.
WELT ONLINE: Wie viele Arbeitnehmer in Deutschland sind inzwischen von Kurzarbeit betroffen?
Scholz: Inzwischen sind es Hunderttausende. Und es können noch mehr werden. Im Jahresschnitt rechne ich mit 250.000 Kurzarbeitern – viele aber nur für eine überschaubare Zeit.
WELT ONLINE: Wie groß ist die Zahl der bereits jetzt vom Konkurs bedrohten Unternehmen?
Scholz: Das ist schwer zu quantifizieren. Wahr ist, die Zahl der Insolvenzen wird sicher zunehmen. Es gibt da eine schwierige Entwicklung. Gerade bei den Zulieferbetrieben der Automobilindustrie zeigen sich jetzt die Folgen der knallharten Preispolitik der bestellenden Konzerne. Die Zulieferer besitzen so gut wie keine Liquiditätsspielräume.
WELT ONLINE: Das heißt, die Praxis der Vergangenheit erschwert nun die Bewältigung der Krise?
Scholz: So ist es. Nehmen Sie das Engagement der Hedgefonds, die Unternehmen gekauft und mit horrenden Schulden belastet haben. Denen ging es nicht um die langfristige Entwicklung. Man muss offen sagen: Diesen Unternehmen fehlt heute die Luft zum Atmen.
WELT ONLINE: Wird die Arbeitslosigkeit trotz der vielen Kurzarbeiter deutlich zunehmen?
Scholz: Wir werden im Schnitt vermutlich 250.000 Arbeitsuchende zusätzlich haben.
WELT ONLINE: Heißt das, dass die Vier-Millionen-Marke erreicht oder gar überschritten wird?
Scholz: Niemand besitzt eine Rechenmaschine, mit der er eine solche Zahl seriös errechnen kann. Uns geht es darum, so viele Arbeitsplätze wie möglich zu retten und gleichzeitig denen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, möglichst schnell einen neuen anzubieten. Darum bauen wir die Kurzarbeit aus. Darum fördern wir die Qualifizierung in der Beschäftigungskrise. Darum erhöhen wir auch die Zahl der Vermittler um mehrere Tausend.
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Franz Müntefering schließt Linke als Partner aus
Der nächste Streit um Mindestlohn kommt bestimmt
Die Kanzlerin vergrätzt ihre Wirtschaftspolitiker
WELT ONLINE: Der neue US-Präsident Barack Obama hat seinen Landsleuten klipp und klar gesagt, dass sie in diesem Jahr Millionen Jobs verlieren werden. Scheuen Sie davor zurück, den Menschen die Wahrheit zu sagen?
Scholz: Ich glaube, dass es richtig und verantwortlich ist, wenn wir auch bei Prognosen auf dem Teppich bleiben. Das schlimmste Szenario ist nicht zwangsläufig das Wahrscheinlichste. Im Übrigen ist das, was wir tun müssen, auch ohne eine solche Zahl klar. Wir stemmen uns der Krise entgegen. Unsere Instrumente sind ziemlich ausgereift. Ich war gerade bei einem Treffen europäischer Beschäftigungsminister in Tschechien. Viele schauen nach Deutschland, zum Beispiel wegen der Kurzarbeit. Was die Bürger nun von uns zu Recht erwarten, ist ein gutes Krisenmanagement.
WELT ONLINE: Das anfangs doch sehr zögerlich und unentschlossen wirkte.
Scholz: Die Regierung hat sehr schnell und sorgfältig reagiert und die notwendigen Maßnahmen mit dem Finanzmarktstabilisierungspaket und zwei Konjunkturpaketen auf den Weg gebracht. Aber ich sage auch: Alle sind gut beraten, sehr ernsthaft bei der Sache zu sein und keine Mätzchen zu machen. Dafür ist die Lage viel zu ernst.
WELT ONLINE: Wen meinen Sie?
Scholz: Die Mätzchenmacher outen sich selbst.
WELT ONLINE: Sie betonen immer wieder, dass Bildung der Schlüssel zum sozialen Aufstieg und das beste Fundament der Wirtschaft ist. Warum erschweren Sie dann intelligenten Kindern aus Hartz-IV-Familien den Weg zum Abitur, indem sie ihnen das Schulbedarfspaket, das jüngeren Kindern zusteht, verweigern?
Scholz: Das Schulbedarfspaket ist überhaupt erst auf Drängen der SPD entstanden. Allerdings bestand die Union darauf, dass es auf die Schüler bis zur zehnten Klasse beschränkt wird. Was allerdings die CDU-Sozialminister der Länder nicht davon abgehalten hat, dem Bundesarbeitsminister die Verantwortung dafür zuzuschreiben, dass es das Paket nicht für die Oberstufe gibt. Ein – höflich gesagt – sehr merkwürdiges Verhalten.
WELT ONLINE: Merkwürdig kann man auch finden, dass Sie ausgerechnet in Zeiten der Krise immer mehr Mindestlöhne einführen.
Scholz: Wir haben die Zahl der Mindestlöhne in dieser Legislaturperiode von eins auf zehn gesteigert. Weit mehr als drei Millionen Menschen werden so vor Dumpinglöhnen geschützt. Für Hunderttausende bedeutet dies, dass sie eine ordentliche Lohnerhöhung bekommen werden und von ihrem erarbeiteten Lohn wenigstens ihr Auskommen finanzieren können. Das ist ein Riesenerfolg. Genauso wie die Verständigung darauf, dass es eine Lohnuntergrenze für die Zeitarbeit gibt. Sie wird sich dabei an den geltenden Flächentarifverträgen in diesem Bereich orientieren.
WELT ONLINE: Trotz Ihrer Mindestlohnpolitik kann die SPD beim Wähler nicht punkten. Warum kommt sie aus ihrem Tief nicht heraus?
Scholz: Ich bin sicher, dass wir es schaffen werden, bis zur Bundestagswahl im September mit der Union gleichzuziehen.
WELT ONLINE: Woher nehmen Sie diesen Optimismus?
Scholz: Die SPD kann kämpfen, das haben wir oft bewiesen. Und wir haben einen Kanzlerkandidaten, von dem sich jeder Deutsche vorstellen kann, dass er ein guter Kanzler wäre.
WELT ONLINE: Gibt es dazu Umfragen?
Scholz: Ich höre das von allen Bürgern, mit denen ich spreche, auch von Anhängern anderer Parteien.
WELT ONLINE: Mit dem neuen Vorsitzenden Franz Müntefering verband die SPD große Hoffnungen. Dennoch laufen ihr Wähler und sogar Mitglieder davon. Waren die Hoffnungen überzogen?
Scholz: Nein. Wähler sind keine Schachfiguren. Sie sind die wichtigsten Leute unseres Landes. Sie sind der Souverän des Landes. Und sie wollen sich ihr Urteil sorgfältig überlegen. Das gilt auch für die, die in Betracht ziehen, die SPD zu wählen. Nur Zyniker wollen das nicht wahrhaben. Ich empfehle mehr Respekt.
WELT ONLINE: Die Frage galt allein den Hoffnungen der SPD.
Scholz: Es war vorhersehbar, dass wir nach einer gewissen Zeit gefragt werden würden: Und warum ist noch nicht alles ganz anders? Darauf gibt es nur eine Antwort: So schnell geht das nicht. Daraus, dass die Union in den Meinungsumfragen von unserer Lage nicht profitiert, schließe ich: Die Union ist für viele keine Alternative. Wir haben also alle Chancen, bis zum Wahltag ausreichend viele zu überzeugen.
Zuletzt aktualisiert: Freitag, 23. Januar 2009, 15:47 Uhr


Wenn Dauersex mit dem Ehemann zur Hölle wird

dpa
Auch echte Zuneigung und tiefe Gespräche helfen nicht über die Sexroutine hinweg.
Die zutiefst religiöse Charla Muller hatte ihrem Mann zum 40. Geburtstag ein besonders Geschenk gemacht: Kein Tag ohne Sex! Jetzt berichtet die Autorin über ihre desaströsen Erfahrungen mit dem Dauersex. Denn am Ende halfen auch echte Zuneigung und tiefe Gespräche nicht über die Sexroutine hinweg.
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Sexreport: Das passiert in deutschen Betten
Was ist die Hölle auf Erden? Jeden Tag mit dem eigenen Mann ins Bett zu müssen, schreibt Charla Muller, 41, die sich mit ihrem Buch „356 nights“ eben auf die US-Bestsellerliste katapultierte. Die zutiefst religiöse Autorin hatte ihrem Mann zum 40. Geburtstag ein besonders liebevoll gedachtes Geschenk gemacht: Kein Tag ohne Sex! Gegen die Bettroutine setzte sie die Bettpflicht, was aber zu ähnlich desaströsen Resultaten führte, wie das Online-Magazin fem.com berichtet.
Nach 26- bis 28-mal Sex pro Monat – und das zehn Monate hintereinander – ging den beiden im Schlafzimmer die Lust aus. Da nützten offenbar auch Rollenspiele wie „Charla folgt ihrem Mann auf Geschäftsreise“ nichts mehr. Auch echte Zuneigung, gegenseitiges Verständnis und tiefe Gespräche über Liebe halfen am Ende nicht über die neu-alte Sexroutine hinweg.
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Frauen aufreißen leicht gemacht im Crash-Kurs
Blick unter die Bettdecken der Jugendlichen
Ab 30 ist es mit dem täglichen Sex vorbei
In der „Verschmelzungsfalle“ verfangen sich eben auch Paare, für die sich wahre Partnerschaft nicht im Sex erschöpft. Im Rückblick auf ihr „Sexperiment“ schreibt die amerikanische Autorin denn auch von einer „dämlichen Idee“ und jammert über das „Kreuz“, das sie zu tragen hatte.
Wenn die guten Vorsätze nach Silvester verpuffen
An Silvester knallen nicht nur die Sektkorken, es werden auch viele gute Vorsätze gefasst. Alle Jahre wieder – das moralische Ritual ist nicht totzukriegen. Doch der euphorische Vorausblick schließt den illusionslosen Rückblick mit ein. Wir spüren den quälenden Widerspruch zwischen dem, was wir sein wollen, und dem, was wir sind.
Besonders in der Partnerschaft wird dieser Konflikt überdeutlich, denn nirgendwo sonst werden die an uns gerichteten Forderungen so schonungslos in Stellung gebracht wie hier. Was am Partner besonders nervt, hat jetzt eine Umfrage der GfK Marktforschung ans Licht gebracht. Die unbeliebteste Eigenschaft ist demnach Sturheit, dann folgen Rechthaberei, Kleinlichkeit, Unentschlossenheit und Eifersucht. Frauen finden besonders die männliche Verschlossenheit verdrießlich, Männer dagegen fürchten sich vor nichts mehr als der Redseligkeit ihrer Partnerin.
Ist es da verwunderlich, dass bei einer aktuellen Umfrage der Wellnessagentur Beauty24 über die häufigsten Vorsätze der Wunsch ganz oben rangiert, dem Partner künftig mehr Zuwendung entgegenzubringen? Einziges Dilemma: Mehr als ein Drittel der Befragten räumte ein, den eigenen Vorsätzen schon bald nach Silvester wieder untreu zu werden.
Auch allein kann man ganz schön glücklich sein
Ein Single ist per definitionem allein. Nicht unbedingt einsam, aber allein. Was vielen dabei aber mehr zu schaffen macht als das Alleinsein an sich, ist die Art und Weise, wie man als Single gesehen wird. Wie jemand nämlich, der keinen abgekriegt hat. Wie jemand, mit dem es keiner lange aushält.
Doch die Zeit der Stigmatisierung ist offensichtlich vorbei. Bei rund zwölf Millionen Singles in Deutschland ist man als Alleinstehender in bester Gesellschaft. Laut einer Studie der Universität Heidelberg sind Singles mit ihrer Autonomie und ihrem sozialen Netzwerk äußerst zufrieden. Je mehr Singles es gibt, desto weniger Anpassungsdruck gibt es. Man müsse sich heute nicht mehr rechtfertigen, wenn man alleine sei, so der Heidelberger Psychologieprofessor Hans-Werner Wahl.
Frauen fällt es laut der Studie sogar etwas leichter als Männern, das Fehlen einer eigenen Familie mit Freundschaften zu kompensieren. Das gute Arrangement mit den Lebensumständen steht laut Professor Wahl allerdings im Widerspruch zu den heimlichen Sehnsüchten der Singles: 88 Prozent der Singlemänner und 89 Prozent der Singlefrauen träumen weiter von einem Partner, 90 Prozent der Alleinstehenden vermissen Sex und Zärtlichkeit.
Zuletzt aktualisiert: Freitag, 23. Januar 2009, 07:25 Uhr


Jetzt ist auch der Papst auf YouTube

dpa
Der Papst hat ein Handy - erstaunlich genug. Doch jetzt soll er auch noch einen eigenen Kanal auf dem Videofilm-Portal youtube.com bekommen.
Der Papst entdeckt das Internet: Mit einem eigenen Kanal auf YouTube will der Vatikan vor allem junge Katholiken erreichen. Der Leiter des Radios Vatikan spricht auf WELT ONLINE über den neuen Online-Auftritt und die Bedeutung des Internets für die Religion. Außerdem sagt er, warum der Papst von Obama lernen kann.
Seit heute haben Benedikt XVI. und der Vatikan einen eigenen Kanal auf der Online-Video-Plattform YouTube . Clips und Texte des Papstes oder des Vatikans werden in Englisch, Spanisch, Deutsch und Italienisch angeboten. Die Besucher können auch Kommentare abgeben. Benedikt XVI. ermunterte gerade junge Katholiken, das Internet zu nutzen, „um das Zeugnis ihres Glaubens in die digitale Welt zu tragen“. In einer Botschaft würdigt der Papst „das außerordentliche Potenzial“ der neuen Technologien, wenn sie dazu genutzt würden, Verständnis und Solidarität zu fördern. Über die Internet-Aktivitäten des Vatikans spricht auf WELT ONLINE Pater Eberhard von Gemmingen, dem Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan.
WELT ONLINE: Wissen Sie, was Facebook ist?
Eberhard von Gemmingen: (lacht) Ich habe es vorgestern gehört. Es ist, so glaube ich, eine Selbstpräsentation in Wort und Bild im Internet, mit der Leute untereinander in Kontakt treten können.
WELT ONLINE: Nun hat Google mit dem Vatikan einen YouTube-Kanal für den Papst geöffnet. Freut Sie das ohne Vorbehalt?
Von Gemmingen: Natürlich, bei aller Skepsis. Denn an junge Leute kommt man doch kaum noch über eine seriöse Zeitung heran und auch nicht über unseriöse, sondern vor allem über das Internet.WELT ONLINE: In vielen Bereichen des Netzes geht es aber düsterer zu als in den düstersten Vierteln vieler Hafenstädte. Was sagen Sie zu den neuen Nachbarn des Papstes auf diesem Markt der Präsentationen, zu denen so leicht hinübergeklickt werden kann?Von Gemmingen: Das passiert ja auch jetzt schon, dass ich in einer Zeitung etwas Frommes oder Aufbauendes lesen kann neben dem Foto eines wunderschönen nackten Mädchens oder neben einer schlechten oder verfälschten Meldung einer grauenhaften Politik. Aber dass der Papst auf den Areopag geht, ist einfach gut.
WELT ONLINE: Wie bitte, „Areopag“?
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Der Papst und der Vorwurf der Homophobie
Benedikt XVI. fordert Reform des Weltfinanzsystems
Papst will rebellische Bischöfe versöhnen
Von Gemmingen: Das war der Ort in Athen, wo Paulus neben den Marktschreiern aller Götter öffentlich von dem einen unsichtbaren Gott zu reden anfing, der in Christus sein Gesicht gezeigt hat. Der Areopag ist ein Marktplatz. Natürlich müssen wir dahin, heute so sehr wie zur Zeit der Apostel.
WELT ONLINE: Wird Radio Vatikan aber nicht überflüssig, wenn sich bald jeder selbst seine Vatikan-Nachrichten frisch von der Quelle aus dem Netz fischen kann?
Von Gemmingen: Nein, überflüssig werden wir gar nicht. Die Hörprogramme für den deutschen Sprachraum werden nachlassen, doch keineswegs in Afrika oder Asien und in vielen anderen Ländern. Für uns aber wird jetzt eben immer wichtiger, was wir auf unsere Homepages und Websites setzen, wo wir ja wesentliche Nachrichten der Weltkirche vermitteln. Da holen sich viele Leute ihre Nachrichten ab. Doch irgendjemand muss sie ja draufstellen. Lesbar, so dass es alle Leute verstehen können.
WELT ONLINE: Aber wenn der Vatikan seine Angebote selbst nach vorne auf die Theke legt, werden dann nicht rasch weniger bei Ihnen vorbei schauen nach dem Motto, geh nicht zum Schmiedchen, sondern zum Schmied?
Von Gemmingen: Nein. Ein Beispiel: Jetzt sind die Bischöfe aus dem Irak hier mit unglaublich aufregenden Texten und Reden. Doch wer kann die schon ganz lesen? Wenn hier nicht in fünf Zeilen verdichtet wird, worauf es ankommt, dann hat man verloren. Genau hier beginnt unsere Arbeit. Das muss alles vereinfacht und zusammengefasst werden. Da hilft es nicht, die Texte einfach nur mit jedem Komma ins Netz zu stellen.
WELT ONLINE: Kann der Papst etwas von Barack Obama lernen?
Von Gemmingen: Ja, und nicht nur er, sondern jeder im Vatikan – und zwar dies: Sag die Dinge, die an die Öffentlichkeit sollen, so, dass sie jeder Mensch verstehen kann. Ich würde dem Heiligen Vater also sagen: Du kannst bei „Urbi et Orbi“ zweimal im Jahr über 100 Millionen Menschen ansprechen. Das sind ungeheure Chancen – die leider immer wieder leichtfertig verspielt werden, weil die Ansprachen einfach zu anspruchsvoll sind, zu hoch, zu fromm, nein, das nicht, aber zu anspruchsvoll.
Sag' es so, dass es die Leute gleich verstehen. Yes, we can! Und der Papst sowieso. Er kann und soll natürlich nicht so reden und sein wie Barack Obama. Aber nichts hindert ihn daran, sich Redenschreiber zu nehmen, die ihm seine Texte etwas herunterbrechen und gewisse Dinge wiederholen, dass sie sich besser einprägen. Das sollte er übernehmen. Nicht, dass er seine Texte liberalisieren oder gar – Gott behüte – verfälschen oder verdummen lassen sollte. Doch was er heute sagt – der doch selbst ein so faszinierend großer freier Redner ist – ist immer nur ein geschriebener Text, der ganz anders strukturiert ist als eine freie Rede. Das müsste und dürfte nicht sein.
WELT ONLINE: Samstag ist der Festtag des heiligen Franz von Sales, des Patrons der Journalisten. Darum wurde der Tag auch ausgewählt für diesen gigantischen Schritt des Vatikans hinauf und hinab in den Cyberspace. Kennen Sie ein besonderes Zitat des Heiligen?
Von Gemmingen: Leider nicht, aber Moment! Ich schaue mal kurz in meinen Büchern nach … hier ist es schon, fast so schnell wie bei Google. „Wer sich selbst zum Schüler hat, hat einen Esel als Lehrer.“ Doch am schönsten ist vielleicht dies, es könnte fast vom Papst selber sein: „Das Maß der Liebe ist die Liebe ohne Maß.“
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 11:51 Uhr


Zumwinkel ist ein ganz gewöhnlicher Steuersünder

dpa
Klaus Zumwinkel galt als seriöser Kaufmann.
Klaus Zumwinkel trägt das Verdienstkreuz des Bundes und galt als seriöser Kaufmann. In der Öffentlichkeit gab Zumwinkel sich bescheiden. Privat aber versteckte der frühere Post-Chef Geld vor dem Fiskus, und deswegen steht er nun vor Gericht. Mit Tragik hat sein Fall nichts zu tun.
"Mein Beruf war schon mein Leben“, sagt Klaus Zumwinkel zu Richter Wolfgang Mittrup. Es ist der Schlüsselsatz im Strafverfahren gegen den früheren Post-Chef. „Manch einer sagt, dass ich die größte Strafe schon erlitten habe“, kommt seine brüchige Stimme aus dem Lautsprecher im Gerichtsaal C240 des Bochumer Landgerichts. Zumwinkel selbst glaubt das auch.
Er habe schon bitter gebüßt für die hinterzogene eine Million Euro, wegen der er hier auf der Anklagebank sitze. Bedrohungen, Nachstellungen und unglaubliche Umstände, die er hier nicht erzählen wolle, habe es seit der Hausdurchsuchung am 14. Februar 2008 gegeben, berichtet der Angeklagte. Bustouren mit Kölner Stadttouristen vor der gemieteten Villa mit den grünen Fensterläden waren nur eine Kleinigkeit. Seine Familie sei „massiv in Mitleidenschaft“ gezogen worden. Frau Antje, mit der er seit 37 Jahren verheiratet ist, erlitt einen Zusammenbruch.
Und dann begründet Zumwinkel sein Vergehen so einfach wie überzeugt: „Es war das Ziel, dass schon einmal versteuertes Geld nicht noch einmal versteuert werden sollte“, sagt er. Er habe das aber wiedergutgemacht, habe die Steuern „unverzüglich“ nachgezahlt, und nun sei ja „alles im Reinen“. Es sind Aussagen wie diese, die daran zweifeln lassen, dass sich der einstige Vorzeigeunternehmer tatsächlich im Unrecht empfindet. Sein Erspartes sollte der Familie zugutekommen und „keinem anderen“, sagt er. Wer will das nicht?
Über Jahrzehnte war der heute 65-Jährige der Inbegriff des hanseatischen Kaufmanns. Korrekt, klar in seinen Aussagen, offen für die Menschen. Wenn er als Konzernchef mit Postboten zusammenkam, schlug er den freundlichen Ton des Patriarchen an und ließ sich die Nöte der Beschäftigten erzählen. Für seine soziale Verantwortung den Mitarbeitern gegenüber beim Zusammenschluss von Deutscher Post und DDR-Post ließ sich Zumwinkel mit dem Großen Bundesverdienstkreuz auszeichnen.
Aber neben dem korrekten Konzernchef stand all die Jahre ein Steuerhinterzieher: Mit Hingabe baute er fast ein Vierteljahrhundert lang seine „Devotion Family Foundation“ in Liechtenstein auf, brachte sie auf den Stand von mehr als elf Millionen Euro und fand nichts Unzulässiges dabei, die Zinseinkünfte daraus in Deutschland an der Steuern vorbei zu kassieren. „Das war der größte Fehler meines Lebens“, ruft er nun im Gerichtssaal den zwei Schöffen und drei Berufsrichtern zu. Er hat mit seinem Anwalt Hanns Feigen, der erste Adressen wie Bayer, Siemens oder früher Mannesmann vertrat, Wort für Wort vorher abgesprochen, was er sagen wird. Dieser Fehler hat sein Lebenswerk, seine Karriere, zerstört. War es nur deshalb falsch?
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Zumwinkel gesteht reumütig Steuerhinterziehung
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Haft für Erpresser der Liechtensteinischen Bank
In der Öffentlichkeit gab Zumwinkel sich bescheiden, abseits davon aber genoss er das Leben eines Schlossherrn auf seiner 800 Jahre alten Burg hoch über dem Gardasee in Italien. Fünf Millionen Euro ist die Immobilie wert, die Zumwinkel vor Gericht zunächst als „Feriensitz“ bezeichnet und die er mit viel Aufwand zur Luxusherberge samt Fußbodenheizung umbauen ließ. Als junger Mann schon gönnte er sich einen Porsche.
Er hat den Umgang mit viel Geld von Kindheit an gelernt. Die Eltern führten ein gut gehendes Einzelhandelsunternehmen. Sein acht Jahre älterer Bruder Hartwig hatte die Familienfirma zunächst weitergeführt und dann erfolgreich an den Handelskonzern Rewe verkauft. Zumwinkel wollte eine andere Karriere machen: Über einen Master-Abschluss in Philadelphia ging es zu McKinsey, dann als Chef zu Quelle und danach zur Post.
Ein Ausnahmemanager war Zumwinkel, als solcher sah er sich selbst. Den Richter korrigiert er, wenn der seinen Aufstieg bei der Post nicht ganz korrekt wiedergibt. Nun bekommt er einen sehr gewöhnlichen Prozess, darauf legt Richter Mittrup wert. Am Montag schon will er das Urteil verkünden. „Es ist ein ganz normaler Prozess, wenn man ihn mit anderen Strafverfahren bei Steuervergehen vergleicht“, sagt Ralf Wojtek, Anwalt der Hamburger Kanzlei Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek. „Es ist aber gut zu beobachten, wie auch eine Person des öffentlichen Interesses wie Klaus Zumwinkel durch diesen Vorfall zur Normalität zurückgeführt wird. Seine Leistung wird nun viel nüchterner betrachtet werden“, sagt Wojtek.
Die früheren Dienstbefohlenen tun das schon. Zumwinkel, Manager des Jahres und Inbegriff der deutschen Leistungselite, ist für viele Postler heute ein Heuchler. In der Kneipe „Zur Postkutsche“ neben dem Bochumer Landgericht regen sie sich über seine Pension auf. Angeblich 93.000 Euro im Monat bekommt er, bis ans Lebensende. Er, der Ehrlichkeit und Disziplin von seinen Leuten verlangte, habe an sich selbst ganz andere Maßstäbe angelegt, sagt ein Postler.
Wie Zumwinkel über seine privaten Finanzen denkt, war schon unmittelbar vor Bekanntwerden seiner Steuerhinterziehung zu erkennen. Im Dezember 2007 verkaufte der damalige Konzernchef Post-Aktien für fast fünf Millionen Euro – genau zum Zeitpunkt, als der Kurs einen besonders hohen Stand erreicht hatte. Die Aktie war in die Höhe geschossen, weil Zumwinkel kurz zuvor den Mindestlohn für Briefträger politisch durchgesetzt und dem Konzern so private Konkurrenz vom Leibe gehalten hatte. Zwar bemühte er sich hinterher darum, das Aktiengeschäft als Versehen und nicht als Berechnung darzustellen. Aber nicht nur im Unternehmen Post wird dies anders interpretiert: als die Entscheidung eines cleveren Geschäftsmannes.
Dieser Aktienverkauf kommt vor Gericht nicht zur Sprache, selbst wenn er bei der Auflistung des privaten Vermögens von Zumwinkel durchaus Bedeutung hat. Richter Mittrup gibt sich stattdessen mit den Angaben des Angeklagten zufrieden: Die Burg und ein Vermögen von etwa acht Millionen Euro seien sein Besitz, sagt Zumwinkel. Dabei müssten sich aus dem Aktienverkauf im Jahr 2007 und dem Kontostand in Liechtenstein von elf Millionen Euro im Jahr 2006 ganz andere Summen ergeben. Auch dann, wenn bereits gezahlte Steuernachforderungen davon abgezogen werden. Der Gerichtsprozess ist in manchen Punkten nicht mehr als ein formelles Gefecht.
Auch ein zweiter Fall könnte für Zumwinkel nun rasch zu Ende gehen: die Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Telekom. Er betrifft die illegale Aufzeichnung von Telefonverbindungen und die Frage, was Zumwinkel als Telekom-Aufsichtsratschef davon wusste. Noch hat die zuständige Staatsanwaltschaft in Bonn keine Anklage gegen ihn erhoben, und sie wird es vielleicht auch gar nicht mehr tun. „Es wäre nicht unüblich, wenn die Ermittlungen gegen Zumwinkel nach dem Urteil in Bochum eingestellt werden. Das passiert bei mehreren Verfahren gegen eine Person regelmäßig, um die Staatsanwaltschaften zu entlasten“, sagt Anke Müller-Jacobsen, Strafverteidigerin der Berliner Kanzlei Ignor & Partner.
Zumwinkel wird am Montag wohl als freier Mann das Gericht verlassen. Eine Gefängnisstrafe wird es kaum geben. Sollte sich auch der Telekom-Fall in Wohlgefallen auflösen, muss er sich nicht mehr verstecken wie in den vergangenen zwölf Monaten. Er wird mehr Zeit in Italien verbringen und mit dem Motorboot über den Gardasee fahren. „Ich werde die Folgen meiner Tat tragen, auch wenn die schmerzlich sind“, verspricht Zumwinkel dem Richter. Die müssten sich dort aushalten lassen.
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 11:36 Uhr


Zumwinkel legt Reichtümer offen – und gibt alles zu

DPA
Klaus Zumwinkel verschliesst die Augen nicht mehr vor der Wahrheit.
Vor Gericht gesteht Klaus Zumwinkel, Steuern hinterzogen zu haben. "Das war der größte Fehler meines Lebens", sagt der ehemalige Post-Chef. Er hofft auf ein mildes Urteil. Der Richter stellt klar: Für Zumwinkel wird es keine Sonderbehandlung geben. Dennoch läuft alles auf eine Bewährungsstrafe hinaus.
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Zumwinkel vor Gericht
"Otto“ ist das erste Wort, das Klaus Zumwinkel sagt. Richter Wolfgang Mittrup hat den ehemaligen Chef der deutschen Post und jetzigen angeklagten Steuersünder nach seinen Vornamen gefragt, und außer Klaus nur noch Peter und Richard verlesen. Zumwinkel aber will von Anfang an präzise sein. Die ruhige Stimme soll seine Aufgeregtheit überspielen. Bloß keinen Fehler machen, das haben ihm seine Anwälte eingeimpft. Also erwähnt er den vierten Namen gleich als erstes beim Prozessauftakt vor dem Bochumer Landgericht.
Bei aller Präzision gibt es auch Lücken im Gedächtnis des 65-Jährigen, der sich äußerlich in den vergangenen zwölf Monaten kaum verändert hat. Wie alt sein Vater geworden und wann er gestorben sei, will der Richter wissen. „Ende des 19. Jahrhunderts ist er geboren, aber ich bin mir da nicht so sicher“, sagt Zumwinkel, und dass der Vater „im siebten Lebensjahrzehnt“ verstorben sei. Die Mutter sei „in den 90ern gestorben“.
Es ist auffallend, wie unterschiedlich sich Zumwinkel erinnert: Jede Einzelheit zum Aufbau der Deutschen Post und seinem Berufsweg kann er abrufen. Familiäre Dinge aber oder manche Zeitpunkte fallen ihm nicht mehr ein.
Aber darauf wird es wohl beim Urteil nicht ankommen. Denn schon nach dem ersten Tag für Zumwinkel am Bochumer Landgericht ist erkennbar, dass der Richter mit ihm kurzen Prozess machen will. Keine fünf Minuten braucht Staatsanwältin Daniela Wolters, um die Anklage zu verlesen. Und Richter Mittrup zieht den Turbo-Prozess anschließend mit der Vernehmung Zumwinkels und Einzelheiten seiner Steuervergehen bis kurz nach halb drei Uhr nachmittags konsequent durch. Schon zur Kaffeezeit darf Zumwinkel dann über die Tiefgarage wieder nach Hause in seine Kölner Villa fahren – im abgedunkelten Kastenwagen.
Am nächsten Montag wird zunächst die Staatsanwaltschaft ihr Strafmaß fordern. Und gleich nach der Mittagspause könnte Mittrup dann schon das Urteil verlesen. Mehr als diese beiden Prozesstage soll es nicht geben.
Bis zum Montag werden alle Seiten – Zumwinkel mit seinem Anwalt Hanns Feigen, Richter Mittrup sowie Staatsanwältin Wolters – noch miteinander reden. Dass es angeblich eine Absprache geben soll, hat schon vor dem Prozess die Runde gemacht. Gleich am Anfang des ersten Prozesstages stellt Richter Mittrup deshalb klar, dass dies ein Verfahren wie jedes andere auch bei Steuervergehen sein wird – trotz des prominenten Angeklagten.
„Es gibt hier keine Sonderbehandlung, weder im Positiven, noch im Negativen“, sagt der Richter, ein Westfale, mit bestimmtem Ton. „Absprachen irgendwelcher Art im Vorfeld gab es nicht“, fügt er hinzu. Aber es sei ebenso selbstverständlich, dass in derartigen Strafprozessen miteinander gesprochen werde.
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Steinbrück plant Sanktionen gegen Steueroasen
Klaus Zumwinkel packt vor Gericht aus
Zumwinkel gesteht reumütig Steuerhinterziehung
Mittrup gilt als äußerst bestimmt. Seit elf Jahren ist er Vorsitzender Richter an der 12. großen Strafkammer für Wirtschaftsstrafsachen in Bochum. Steuerhinterziehung ist für den 56-Jährigen ein bekanntes Geschäft – fast täglich hat er mit solchen Prozessen zu tun – mit Prominenten vom Schlage Zumwinkels aber noch nicht.
Am kommenden Montag jedenfalls will ein fünfköpfiges Gremium das Urteil verkünden: Richter Mittrup mit seinen beiden Bochumer Kollegen Felix Bahrenberg und Christine Katzer sowie zwei Schöffen. Deren Namen sind nicht bekannt, sie wurden per Losverfahren ausgewählt. Diese fünf Personen müssen sich mit einer Stimmenmehrheit von mindestens vier zu eins auf ein Urteil verständigen. Allerdings ist es eine Seltenheit, dass Schöffen am Gericht gegen die Berufsrichter stimmen.
Zumwinkel drohen bis zu fünf Jahren Haft. Dass die Strafe so hoch ausfällt, ist unwahrscheinlich. Denn das Bochumer Landgericht selbst hat die Richtung für die Liechtenstein-Prozesse vorgegeben: Im vergangenen Juli verurteilte das Gericht im ersten großen Fall von Steuerhinterziehung den ehemalige Immobilienhändler Elmar S. aus Bad Homburg zu zwei Jahren auf Bewährung und einer Geldstrafe von fast acht Mio. Euro. Er hatte acht Mio. Euro an Steuern hinterzogen, acht Mal so viel wie Zumwinkel. Der Mann war geständig und hat von Anfang an mit der Staatsanwaltschaft kooperiert – wie Zumwinkel.
Und so wäre am kommenden Montag alles andere als eine Bewährungsstrafe von höchstens zwei Jahren sowie eine hohe Geldbuße eine dicke Überraschung. Basis dafür ist Zumwinkels Geständnis, das zum Prozessauftakt eindeutiger nicht hätte ausfallen können.
„Ich will nicht drumherum reden: Der Vorwurf trifft zu. Ich habe die Einkünfte aus Kapitalanlagen in den genannten Jahren nicht versteuert“, beginnt Zumwinkel nach der Mittagspause seine Äußerung zur Anklage. „Das war der größte Fehler meines Lebens“, fügt er an. Er werde die Folgen tragen, und er bereue die Tat. Damit ist klar, dass Zumwinkel kein Risiko eingehen will: Er ist vor Gericht der reuige Sünder, der nichts beschönigt und verteidigt. Nur so, das wissen seine Anwälte, kann er auf ein mildes Urteil hoffen.
Richter Mittrup lässt die Worte Zumwinkels wirken. Umsichtig, fast umständlich fragt er nach, wieso Zumwinkel das getan habe. „Ich wollte einmal versteuertes Geld nicht noch einmal versteuern müssen“, kommt die unmissverständliche Antwort. Alles Geld in der Stiftung sollte der Familie zugute kommen – ohne Abstriche durch den Staat. Und warum er nicht irgendwann die Reißleine gezogen und das Steuervergehen gestoppt habe, will der Richter wissen. „Ich hatte große Angst, dass durch Indiskretionen dies an die Öffentlichkeit kommen könnte. Dann wäre mein Beruf so belastet worden, dass es ein Desaster herbeigeführt hätte“, antwortet Zumwinkel. Dann entschuldigte er sich noch dafür, vor allem „bei denjenigen, mit denen ich beruflich zu tun hatte.“
Exakt 917.361 Euro hat Zumwinkel nach den Zahlen des Richters zwischen 2002 und 2006 an Steuern hinterzogen, hinzu kommt der Solidaritätszuschlag. Rund 970.000 Euro sind das zusammen. Geschehen ist dies über seine „Devotion Family Foundation“ in Liechtenstein bei der LGT-Bank. Zweck dieser „Hingabe“ genannten Stiftung war die „wirtschaftliche Unterstützung“ der Familienmitglieder Zumwinkels. Zum Zeitpunkt der Anklage gegen ihn stand Zumwinkels Konto in Liechtenstein bei gut elf Mio. Euro.
Niemals Armut erlebt
Zumwinkel hat Zeit seines Lebens keine Not gelitten. Diese Erkenntnis arbeitet Richter Mittrup in seiner Befragung des Angeklagten akribisch heraus. Die Eltern führten ein gut gehendes Handelsunternehmen mit Textilläden und Lebensmittelgeschäften. Zumwinkels Bruder Hartwig, der acht Jahre älter ist, hat diese Firmen übernommen. Beim späteren Verkauf an die Rewe Handelsgruppe fiel ein Teil des Erlöses an Zumwinkel, der wiederum einen Teil davon in Liechtenstein anlegte.
Heute besitzt der ehemalige Postchef eine Immobilie in Italien, und er verfügt über ein Geld- und Aktienvermögen von etwa acht Mio. Euro. Auf Fragen des Richters danach spricht Zumwinkel zunächst von einem „Feriensitz“ am Gardasee, später dann von seiner „Burg“. Sie hat heute einen Wert von rund fünf Mio. Euro. Gekauft hat Zumwinkel das Anwesen vor zehn Jahren, und er hat es anschließend für etwa 700.000 Euro renoviert. So fehlte etwa eine Fußbodenheizung in dem betagten Gemäuer.
Ein Boot, ein Audi und ein BMW Geländewagen kommen noch als persönlicher Besitz dazu. Das war es dann mit den Reichtümern Zumwinkels, wie er sie vor Gericht schildert. Und natürlich die Stiftung in Vaduz nicht zu vergessen.
Fast wirkt die Befragung wie ein Gespräch zwischen Zumwinkel und seinem Richter: In der Art eines guten Onkels erklärt der ehemalige Topmanager seine Berufslaufbahn und persönliche Situation. Als von seiner Begeisterung für das Bergwandern die Rede ist, kommt bei Zumwinkel wieder Selbstbewusstsein auf: „Wenn ich das ergänzen darf, Herr Vorsitzender, ich bin Bergsteiger“, stellt er richtig.
Jede Minute im großen Gerichtssaal macht es deutlicher: Zumwinkel will sich hier als normaler Mensch präsentieren. Als Ehemann, der seit 37 Jahren mit Frau Antje verheiratet ist. Als Vater von drei Kindern, von denen eines schon nach dem ersten Lebensjahr verstorben ist. Und als Manager, der einen großen Aufstieg geschafft und der einen noch viel größeren Fehler gemacht hat. Die Strafe dafür will er auf sich nehmen. Wenn sein Kalkül aufgeht, bleibt ihm über diesen Weg das Gefängnis erspart.
Zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 22. Januar 2009, 14:31 Uhr


Top-Manager verschleudern ihre Firmenflieger

dpa
Zu verkaufen: Zahlreiche Firmen-Chefs in Europa wollen ihre luxuriösen Jets loswerden. Die Preise verfallen.
Deutsche Chefs und Superreiche flogen bis vor kurzem stolz in firmeneigenen Jets um die Welt. Die Finanzkrise zwingt zum Umdenken. Derartiger Luxus schadet laut Experten dem Image – wenn zugleich Mitarbeiter entlassen werden. Eine Folge: Die Preise für die schicken Flugzeuge sind abgestürzt.
Aus Imagegründen verkaufen Konzerne überall auf der Welt ihre Businessjets. Europaweit gibt es rund 1200 Privatjets, die im Besitz von Unternehmen oder Superreichen sind. Jedes zehnte dieser Flugzeuge steht zum Verkauf. Das ergab eine Untersuchung der Business-Jet-Fluggesellschaft Jet Republic, die WELT ONLINE vorliegt. Deutschland ist laut der Studie mit 300 Maschinen der größte europäische Privatfliegermarkt. Hierzulande wollen sogar 15 Prozent ihrer Eigner die teuren Statussymbole im Wert von insgesamt 636 Millionen Dollar loswerden.
General Motors, Ford, Citigroup, AT&T, Time Warner und die Royal Bank of Scotland hatten angekündigt, ihre Privatflieger zu verkaufen. Das hat vor allem Imagegründe, glauben Experten. „Als Manager wäre es glatter Selbstmord, Hunderten von Mitarbeitern zu kündigen und gleichzeitig weiter im Firmenflieger um die Welt zu jetten“, sagt Ulrich Horstmann, Luftfahrtexperte der Bayerischen Landesbank.
Nutznießer der neuen vermeintlichen Bescheidenheit der Topmanager sind dagegen Firmen wie Netjets, Lufthansa Privat Jet oder Jet Republic, die ihre Kunden wie ein exklusives Taxiunternehmen durch die Luft fliegen. „Wir profitieren vom Verkauf dieser Privatjets“, sagt Jet-Republic-Chef Jonathan Breeze.
Denn viele Vorstände würden zwar aus Imagegründen keine eigene Maschine mehr im Hangar stehen haben wollen. Auf den Luxus, im Privatflugzeug um die Welt zu fliegen, möchten aber offenbar die wenigsten verzichten.
Der Verkauf der Maschinen ist dagegen derzeit nicht einfach. „Die Preise für Privatflieger sind auf dem Secondhand-Markt extrem gefallen “, sagt Axel Beimdiek, Vertriebsmanager des Privatjethändlers Air Alliance. Die Firma aus dem Siegerland kauft Maschinen auf, richtet sie her und verkauft sie dann wieder.
Nachdem die Preise jahrelang stiegen, stockt seit einem Jahr das Geschäft. „Pro Quartal sinken die Preise derzeit um fünf Prozent“, sagt Beimdiek. Laut Jet Republic kostet ein durchschnittlicher Businessjet knapp 16 Millionen Dollar.
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 11:36 Uhr


Der Staat muss den Banken wohl oder übel helfen

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Die Zentrale des 480 Milliarden Euro schweren Rettungsfonds Soffin in Frankfurt: So recht drängt es niemanden an dessen Spitze.
Während Finanzminister Steinbrück noch einen neuen Leiter für seinen Bankenrettungsfonds sucht, schlägt die Wirtschaft Alarm: Die Banken müssten von den toxischen Papieren in ihren Bilanzen befreit werden, sonst wird alles noch schlimmer. Berlin ist sich der Dramatik der Situation bewusst, eine Lösung muss schnell her.
Mit diesem Anrufer rechnen auch ehemalige Chefs von Landesbanken und privaten Geldhäusern nicht täglich. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück nahm in den vergangenen Tagen die Suche nach einem neuen Leiter für die derzeit wohl wichtigste staatliche Institution selbst in die Hand, den Bankenrettungsfonds Soffin. Doch trotz des persönlichen Ministereinsatzes am Telefon und eines klaren Anforderungsprofils – der Neue muss Bilanzen lesen können und Cheferfahrung haben – gestaltet sich die Besetzung schwierig. Die Begeisterung der Kandidaten hält sich in Grenzen.
Sie wissen spätestens seit dem Rücktritt von Günther Merl, dass der Soffin-Posten ein anstrengender Vollzeitjob ist und ohne wirkliche Entscheidungsgewalt – am Ende hat immer die Politik das Wort. Vor allem aber können die von Steinbrück Angerufenen erahnen, dass die eigentliche Herkulesaufgabe erst noch vor dem Rettungsfonds liegt.
Die bisherigen Hilfsmaßnahmen des Soffin für die heimische Finanzwirtschaft reichen bei Weitem nicht. Rund 18 Milliarden Euro Kapitalspritze für die Commerzbank und über 100 Milliarden Euro als Garantien, damit Häuser wie der Münchner Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate, die Mittelstandsbank IKB und einige Landesbanken neue Anleihen ausgeben können, haben das grundsätzliche Problem nicht gelöst. Die Banken melden immer neue Verluste in Milliardenhöhe, immer mehr Papiere in den Bilanzen müssen sie im Wert berichtigen oder ganz abschreiben. Und untereinander herrscht unverändert großes Misstrauen. Die Banken leihen sich gegenseitig weiterhin kaum Geld.
Je nach Zählweise sitzen die Geldhäuser noch auf Problempapieren mit einem Nominalwert von bis zu einer Billion Euro – das sind 1000 Milliarden Euro oder zwei Drittel der Schulden, die die Bundesrepublik seit ihrer Gründung aufgebaut hat. Darunter fallen nicht mehr nur die verbrieften Immobilienkredite, mit denen vor bald zwei Jahren die ganze Krise begann. Mittlerweile zählen Experten selbst italienische Kommunalanleihen dazu, da auch sie nur noch mit hohen Preisabschlägen wieder verkauft werden können – womit weitere Abschreibungen drohen, die noch mehr Eigenkapital der Banken vernichten.
"Wir brauchen dringend eine Lösung für die toxischen Papiere der Banken“, sagt kein Banker, sondern Anton Börner, Präsident des Bundesverbandes des deutschen Groß- und Außenhandels (BGA). Die Wirtschaft brauche voll handlungsfähige Banken, die ohne Einschränkung Kredite vergeben könnten. Ansonsten drohe sich die Wirtschaftskrise zu beschleunigen. Allein schon die Erwartung einer Kreditklemme habe die Unternehmen des Groß- und Außenhandels weitaus vorsichtiger gemacht. „Sollte sich die Lage in der Bankenbranche weiter verschärfen, ist damit zu rechnen, dass rund ein Viertel des Auftragsvolumens des Groß- und Außenhandels an die deutsche Industrie wegfällt.“ Das wären rund 90 Milliarden Euro.
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Ein paar schlechte Banken für Deutschland
In Berlin ist man sich der Dramatik der Situation durchaus bewusst. Etliche Pläne sind in den Schubladen. Welcher am Ende realisiert wird: Niemand weiß es.
So könnten die Banken ihre schlechten Papiere auslagern. Je nach Umfang des zu erwartenden Verlusts erhalten sie dann vom Staat Kapitalspritzen. Dafür bekommt dieser wiederum Aktienpakete an den Instituten. Der Staat wird Eigentümer der Banken – zumindest derer, die besonders viele Ramschpapiere besitzen.
Wie dieser Prozess genau geschehen soll, ist allerdings umstritten. Reicht eine zentrale Einrichtung, eine klassische „Bad Bank“, die den Geldhäusern den Giftmüll komplett abkauft und so die Bilanzen bereinigt? Oder soll es besser kleine, auf die ganz eigenen Probleme jedes Instituts zugeschnittene Einheiten geben?
"Ich bin für eine zentrale Sammelstelle“, sagt Bankenprofessor Michael Grote von der Frankfurt School of Finance & Management. Natürlich dürfe der Staat die Papiere nicht einfach zu den noch in den Bilanzen der Banken stehenden Nominalwerten kaufen – das könnten dann die genannten bis zu eine Billion Euro sein –, sondern nur zu den aktuellen Marktwerten, die oft bei einem Bruchteil liegen. Sonst würden die Fehler der Manager gleich mit ausgelagert. „Die Banken müssen die Verluste tragen, der Steuerzahler darf damit nicht noch zusätzlich belastet werden“, sagt Grote. Sollten die damit einhergehenden Verluste das Eigenkapital zu sehr schmälern, müsste der Staat einspringen – im Tausch gegen Anteile an den Häusern.
Auch sein Kollege Dirk Schiereck von der TU Darmstadt sieht in einer zentralen "Bad Bank“ den bestmöglichen Weg. "In einer solchen Institution würde das Spezialistenwissen konzentriert“, sagt er. Die Verwaltung und Abwicklung der Papiere könnten Investoren mit viel Erfahrung übernehmen, wie etwa der Private-Equity-Fonds Lone Star. "In drei bis fünf Jahren wäre die Sache durch“, sagt Schiereck.
Die Politik hält nichts von einer zentralen Stelle. „Mit der großen Koalition wird es keine ,Bad Bank‘ geben“, sagt Otto Bernhardt, finanzpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Den Banken müsse geholfen werden, ohne den Steuerzahler mit weiteren Risiken zu belasten. Hätte die Stelle die Papiere erst übernommen, säße der Steuerzahler auf den Risiken. Auch vom Spezialistenargument halten Regierungskreise nichts. So viele Experten gebe es gar nicht. Zu verschieden seien die Produkte, zu unterschiedlich die Banken. Daher favorisiert Berlin Einzellösungen.
Die Banken könnten Zweckgesellschaften gründen, die Risiken würden staatlich abgeschirmt. „Wichtig ist uns, dass die finanziellen Risiken jederzeit jedem Institut zugewiesen werden können“, ist zu hören. Sollte es nach der Auslagerung zu weiteren Verlusten kommen, würden die Aktionäre zusätzlich bluten. Umgekehrt könnten sie profitieren, wenn es nicht ganz so schlimm kommt. In der Diskussion ist aber auch ein Mittelweg: Zentrale Giftmüllsammelstellen für jede Säule – für öffentlich-rechtliche Landesbanken und Sparkassen, private Großbanken sowie Genossenschaftsbanken. Doch dies scheint zunächst einmal vom Tisch.
Noch läuft der „Werkstattprozess“, wie es aus Reihen der Bankenaufsicht heißt. Die Klärung aller Details könnte Wochen dauern. Welche Papiere dürfen überhaupt, an welche Stelle auch immer, ausgelagert werden? Und zu welchem Preis? Es sind knifflige Fragen, die geklärt werden müssen. „Da sollten nur solche Forderungen rein, die von der Bank schon vor der Lehman-Pleite eingegangen wurden“, sagt Professor Schiereck. Zudem dürften es nur besonders komplexe Produkte sein, deren Bewertung die Banken vor große Probleme stellt. „Staatsanleihen gehören da sicherlich nicht zu.“ Je nach Kategorisierung schwanken die Summen erheblich – zwischen 300 Milliarden und einer Billion Euro.
Das ganze Problem ist hochpolitisch. Wenn die Banken mehr Geld vom Staat bekommen, könnten auch andere Industrien schon bald vorstellig werden. „Wir fürchten ein Rattenrennen um Subventionen“, heißt es aus Berlin. Da erscheint es trotz etlicher Absagen schon fast wie eine leichte Aufgabe, einen Chef für die Rettungsbehörde Soffin zu finden. Der, so ist aus Regierungskreisen zu hören, soll spätestens bis Anfang dieser Woche gefunden sein.
Zuletzt aktualisiert: Samstag, 24. Januar 2009, 11:36 Uhr

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