Samstag, 24. Januar 2009

... Du weißt, Du lebst in der falschen Welt wenn Du dir Sorgen um sie machst ... Und nur Hohn und Spott erntest! Ojeee ...


Die Lust am diffamieren - wie Thea Dorn im SPIEGEL zu Unrecht besorgte Menschen pauschal zu Weltuntergangspropheten abstempelt drucken 12. Januar 2009, von T. Engelbrecht
Theodor W. Adorno schrieb einst: „Solange es Zug um Zug weitergeht, ist die Katastrophe perpetuiert.“ Dieser kritische Geist war es, der viele dazu veranlasste, sich in den Sechsziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts kritisch zum Gesellschaftssystem in Westdeutschland und im Westen überhaupt sowie zu dessen Auswirkungen auf die ganze Welt zu äußern. Doch von bestimmter Seite schallte es ihnen nur pauschal entgegen: “Dann geh doch einfach nach drüben”, sprich in die DDR; und oft kam auch noch ein die Schicksalhaftigkeit des Daseins bemühendes “der Mensch ist ohnehin nicht zu ändern” hinterher. Natürlich fühlte man sich ungerecht behandelt, und zu Recht. Denn man wurde einfach weggebürstet von Leuten, die man in seiner Verdutztheit “Spießer” schimpfte und die sich dadurch auszeichneten, dass sie nicht in der Lage waren, differenziert zu denken bzw. genau hinzuschauen und auch nur die leiseste Kritik an den westlichen und damit ihren Lebensstil heran zu lassen.
Thea Dorn lästert an den Fakten vorbeiEin deja-vu-Erlebnis dieser Art hat man, wenn man sich Anfang 2009 den SPIEGEL-Essay “Lust an der Apokalypse - was hinter der Katastrophenrhetorik steckt” antut, der an den Fakten vorbeilästert und sich dabei auch in Widersprüche verstrickt (siehe Ausriss). So werden darin diejenigen, die sich um die Folgen der aktuellen weltweiten Finanzkrise oder um das Klima oder auch wegen des weltweiten Bevölkerungswachstums große Sorgen machen, in der Geh-doch-nach-drüben-Manier pauschal als „Apokalyptiker, die alle fünf Minuten den nächsten Weltuntergang herbeiphantasieren“, abqualifiziert. Doch die Attacke der Autorin Thea Dorn reitet argumentativ ins Leere, denn bei weitem nicht alle angesprochenen Mahner sind automatisch Weltuntergangspropheten.
Darüber hinaus sucht Dorn die Sorgen, die Menschen in der heutigen Zeit umtreibt und die sich auf wissenschaftliche Daten stützen, ins Lächerliche zu ziehen - und zwar dadurch, dass sie die Sorgen einfach auf eine Stufe stellt mit solchen aus abergläubischer Vorzeit, etwa mit der in der Bibel erwähnten Furcht vor einem Weltenbrand oder der im Mittelalter vorherrschenden Angst, „von einem Kometen ausgelöscht zu werden. Doch dieser Vergleich wirkt schlicht feindselig und hinkt, weil nicht zu erkennen ist, dass sich die Autorin wirklich mit den Argumenten derjenigen, die sich um die Folgen der Finanzkrise, das Klima etc. Sorgen machen, wissenschaftlich-argumentativ auseinandergesetzt hat. Daher drängt sich der Eindruck auf, dass Dorns Essay „Die Lust an der Apokalypse“ aus einer Lust an der Diffamierung erwachsen ist.
Zumal es am Ende des Essays zu allem Überfluss auch noch heißt: “Der Mensch ist aus krummem Holz gemacht. Jeder Versuch, aus ihm etwas gänzlich Gerades zu zimmern, hat bislang nur einen Ort erschaffen: die Hölle auf Erden.” Ein Satz, der an dieses “der Mensch ist ja doch nicht zu ändern” erinnert und der nicht nur deshalb aufstößt, weil er sich so anhört, als stamme er aus abergläubischer Vorzeit. Auch geht es den Mahnern, die mit dem Essay adressiert werden sollen, nicht primär darum, den Mensch auf Mikrokosmosebene „gerade zu machen“, sondern vielmehr darum, Kräfte zu mobilisieren, um die Gesellschaftssysteme so zu gestalten, dass es den einzelnen Mensch möglich wird, in den Gesellschaften „gänzlich gerade“ zu gehen, sprich friedvoll und ohne Hunger und Zukunftsangst miteinander zu leben.
Auch NYT-Kolumnist Thomas Friedman, den Dorn zuerst herunterputzt, ist kein “Weltuntergangsherbeiphantasierer”Auch Thomas Friedman, Wirtschaftsfeuilletonist der New York Times, dessen Zeitungskommentar zur Finanzkrise den Aufhänger für den SPIEGEL-Essay bildet, ist keiner von denen, die „alle fünf Minuten den nächsten Weltuntergang herbeiphantasieren“, wie Dorn bissig behauptet…. Denn Friedman hat in seinem Kommentar lediglich beschrieben, wie er zuletzt in Restaurants gegangen sei und dabei das Bedürfnis gehabt hätte, den vielen jungen Leuten dort folgendes mitzuteilen: „Sie kennen mich nicht, aber ich muss ihnen sagen, Sie sollten hier nicht sein. Sie sollten ihr Geld sparen. Sie sollten ihren Thunfisch zu Hause essen. Diese Finanzkrise ist noch nicht vorbei.“
Man muss hier mit Friedman nicht in Gänze mitgehen, aber dass er damit in “atemberaubend unverantwortlicher” Weise den „apokalyptischen Harlekin“ geben soll, wie die gut situierte Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin Dorn tönt, ist beim besten Willen nicht zu erkennen. Nicht zuletzt, wenn man sich vor Augen führt, dass zum Beispiel das Haushaltsdefizit in den USA 2009 voraussichtlich bei knapp 1,2 Billionen US-$ liegen wird - und damit doppelt so hoch wie 2008.
Wo war der SPIEGEL als rechtzeitiger Warner vor dem Finanzcrash?Anstatt also berechtigte Zukunftsängste von Menschen zur „aggressive Prophetitis“ zu verklären, hätte Dorn vielleicht besser einen Essay darüber verfasst, warum der SPIEGEL nicht in in angemessener Weise als Mahner und Warner aufgetreten ist, lange bevor die Welt in die Finanzkrise gestürzt ist. Das hätte man durchaus von einem Medium wie dem SPIEGEL erwarten können. Zumal die Informationen dafür leicht zugänglich waren, etwa in Form des Buches „Der Crash kommt“ von dem Wirtschaftsprofessor Max Otte, das 2006 erschien und bereits damals dem SPIEGEL vorgelegen haben soll (siehe auch Titelgeschichte der Medienfachzeitschrift message “Das böse Erwachen - warum die Medien die Wirtschaftkrise verschliefen”).
Man muss differnzieren und genau schauen, welche Mächte die Angstmacherei betreibenSicher, nicht alles, was in der neueren Menschheitsgeschichte begründet als Gefahr heraufbeschworen wurde, trat später auch ein. Ein Beispiel hierfür ist die Vogelgrippe, bei der ja die Gefahr einer weltumspannenden Pandemie besungen wurde. Dorn erwähnt die Vogelgrippe auch in ihrem Essay als Beispiel für übertriebene Angstmacherei. Das Problem ist nur, dass der SPIEGEL selber kräftig im Vogelgrippe-Panik-Chor mitgesungen hat - wo aber war 2005/2006 Thea Dorns kritischer SPIEGEL-Essay dazu - zumal es ja auch hier kritische Stimmen zur Panikmache gab?
Darüber hinaus muss man differenzieren und genau schauen, welche Mächte hinter der Angstmacherei am Werk sind. So ist das Phänomen, dass die Vogelgrippe von der Pharmaindustrie im Verbund der Politik und den Medien zur drohenden Pandemie aufgebauscht wurde, sicher anders einzuschätzen ist als etwa der Einsatz von Menschen für eine Erde ohne Hunger. Auch nennt Dorn das Beispiel von der Angst nach dem zweiten Weltkrieg vor einem weltumspannenden Nuklearkrieg. Doch es ist absurd, wie es die SPIEGEL-Essayistin mit Wucht tut, den Warnern vor einem solchen Nuklearkrieg „aggressive Prophetitis“ und pure „Lust an der Apokalypse“ vorzuwerfen, nur weil wir einen solchen apoaklyptischen Nuklearkrieg noch nicht erlebt haben - nicht zuletzt, weil es ja gerade auch die Warner waren, die maßgeblich dazu beitrugen, dass es zum Glück eben noch nicht zu einem solchen Nuklearkrieg gekommen ist.
Das Geschäft mit der Beschwichtigung und seine FolgenDarüber hinaus gibt es ja neben Professor Max Otte zahlreiche weitere Beispiele aus der Geschichte der Menschheit, in denen die warnenden Stimmen völlig zu Unrecht einfach weggebürstet und dabei auch lächerlich gemacht wurden. Genannt sei hier etwa Kurt Tucholsky, der die drohende Gefahr des Faschismus frühzeitig kommen gesehen und vor dem Marsch ins Dritte Reich gewarnt hatte. Doch seine Mementos trafen tragischerweise weithin auf stumme Ohren. Oder denken wir daran, wie die Warnungen vor den Gefahren des Rauchens oder dem Schwermetall Blei jahrzehntelang heruntergespielt wurden.
Dorn schreibt, dass “das Geschäft mit der Angst das in Wahrheit älteste Gewerbe der Welt sein dürfte” - doch in ihrer Einäugigkeit - die sie übrigens den angeblichen Weltuntergansphantasierern vorhält - übersieht sie, dass das Geschäft mit der Beschwichtigung und Verharmlosung mindestens genau so alt sein dürfte (und dass es verheerende Konsequenzen haben kann)…
Thea Dorn verwendet den Begriff “Apokalypse” in zweischneidiger FormMan könnte zwar meinen, dass die genannten Vergleiche hinkt, wo etwa Tucholsky ja nicht im strengen Wortsinne vor einem Weltuntergang gewarnt hat. Doch ein solcher Einwand würde nicht ziehen, nicht zuletzt weil Dorn zwar mit dem Titel ihres Essays “Lust an der Apokalypse” eigentlich die Lust an der Prophezeiung des Weltuntergangs meint, den Begriff „Apokalypse“ im Text aber nicht kosequent im Sinne von „Weltuntergang“ verwendet. So benutzt sie ihn auch in ganz allgemeiner Form, nämlich um all diejenigen, die das heutige Wirtschaftssystem ob seiner „billigen Plastikkultur“ und seines „Konsumismus“ kritisch gegenüberstehen, abzukanzeln.
Doch bei weitem nicht alle „guten Menschen“, wie Dorn die Kritiker ironisch-abfällig nennt, schreien den Weltuntergang herbei – und auch wollen sie nicht alle, wie Dorn unterstellt, „unserer Gesellschaft die totale Revision verordnen“. So geht es den Live-8-Aktivisten, die die Autorin in ihrem Essay als Beispiel für solche „guten Menschen“ erwähnt, vor allem um die Abschaffung des Hungers auf der Welt. Doch weder stilisieren die Live-8-Aktivisten den Hunger zu einem Weltuntergang, noch fordern sie zur Bekämpfung des Hungers eine gesellschaftliche Totalrevision.
Viele Apokalypsen sind längst daOhne Frage, die Apokalypse ist nicht erst da, wenn jemand per Knopfdruck die Erde in die Luft gesprengt hat – so wie Charlton Heston am Ende des zweiten Teils des Films „Planet der Affen“. Ein beredtes Zeugnis dafür ist der Film mit dem sinnigen Titel „Apokalypse now“, der von den Wirren des Vietman-Kriegs handelt und auf beeindruckende Weise zeigt, dass sich Apokalypsen in der heutigen Zeit zuhauf gerade auch auf individueller Ebene abspielen – ob nun als Soldat in Vietnam- oder sonst einem Krieg, ob als einer der 35.000 Menschen, die täglich an den Folgen von Hunger sterben sollen, ob als eine der unzähligen Kinderprostituierten auf dieser Erde oder als Orang-Utan, dem auf Borneo im wahrsten Sinne des Wortes der Lebensraum unter den Füßen weggesägt wird. All dies sind auch Folgen der Kultur, so wie wir sie uns eingerichtet haben.
Daher wirkt es deplaziert, wenn Dorn diejenigen, die ihr Herz und ihre Lebensenergie dafür einsetzen, dass sich an diesen gesellschaftlichen Zuständen etwas bessert, als „unbarmherzige Levitenleser“ heruntermacht – und dann auch noch die nicht weniger diffamierenden Äußerungen hinterher schiebt, sie würden alle mit “Ekel” auf die Gesellschaft blicken und wohl von einem „Freudschen Todestrieb“ geleitet.
Wennn die Opposition gegen den Status Quo nicht mehr Wurzeln schlagen kannThea Dorn hätte wohl auch den eingangs erwähnten Theodor W. Adorno, wenn er denn noch leben würde, als „atemberaubend unverantwortlichen“ Weltuntergangspropheten heruntergebürstet. Nun, vielleicht hat Dorn einfach den „totalen Frieden“ mit der hoch industrialisierten Zivilisation gemacht und sieht von diesem Blickwinkel aus in jedem besorgten Kritiker einen Weltuntergangspropheten, der die „totale Revision“ der Gesellschaft wolle. Ursache hierfür könnte sein, dass, um mit Herbert Marcuse zu reden, die „innere Dimension” ihres “Geistes bereits derart beschnitten wurde, dass dort eine Opposition gegen den Status quo nicht mehr Wurzeln schlagen kann“. drucken
12 Kommentare zu “Die Lust am diffamieren - wie Thea Dorn im SPIEGEL zu Unrecht besorgte Menschen pauschal zu Weltuntergangspropheten abstempelt”
Lars sagt: 12. Januar 2009 um 11:17
Hallo! Habe die Site gerade erst entdekt. Finde ich super, das zu machen.
Die schreibst natürlich Quatsch, die Dorn. Aber von denen habe ich nix anderes erwartet. Liegenlassen am Büdchen, sag ich! Oder was schlagt ihr vor?
Zu Thorsten: Was ist denn DEIN Problem, ey?
ela sagt: 12. Januar 2009 um 11:28
Sehr guter Artikel!
Ich war auch besorgt, als ich den Essay von Frau Dorn gelesen habe. Ich finde, die Dame sollte mal eine Weltreise machen und sich die ganzen Krisengebiete dieser Erde anschauen inkl. Besuch des Urwaldes in Lateinamerika und Asien.
Ich bin mir sicher, dass sie nach ihrer Rückkehr nicht mehr in der Lage wäre, so einen Text zu schreiben, der so realitätsfern ist und ziemlich gewollt versucht, Menschen zu kritisieren, die sich für die Erhaltung unserer Erde unter besseren Lebensbedingungen einsetzen.
Grüße
Dirk sagt: 12. Januar 2009 um 13:41
“Lust an der Apokalypse - was hinter der Katastrophenrhetorik steckt”, halte ich unter psychologischen Gesichtspunkten für durchaus diskutabel.Machen wir uns nichts vor: Mit den Ängsten der Menschen kann man trefflich Politik betreiben und noch trefflicher Geld verdienen. War es in früheren Zeiten das Fegefeuer und diverse Plagen, die die Menschen in den Ablasshandel und die Gottesfürchtigkeit trieb, sind es heute Botschaften von der kommenden Klimakatastrophe, dem Waldsterben, dem Ozon-Loch, dem atomaren Inferno und andere Szenerien, die allesamt einem vergleichbaren Strickmuster folgen. Zahle, bringe Deinen Beitrag und du bist gut. Wer sich verweigert und in Frage stellt ist schuldig und gehört entsprechend angeprangert und gesellschaftlich isoliert.Es geht gar nicht mehr um die inhaltliche Auseinandersetzung mit den möglichen Bedrohungen. Populär ist, wer die größtmögliche Übersteigerung einer verbreiteten Bedrohung präsentiert, konsequenterweise natürlich auch noch einen hypothetischen Lösungsansatz präsentiert, der nüchtern betrachtet in keinster Weise die aufgezeigte Apokalypse zu verhindern weiß.Der Mensch ergeht sich in seinen Ängsten und wird medial bestens bedient. Von dieser Mischung leben Heerscharen von Psychologen, ganze Industriezweige der Pharma-Industrie und nun hat auch der Rest der Wirtschaft begriffen, wie man damit Geld verdienen kann. Der Staat bereitet mit seiner Gesetzgebung den Boden für einen nie versiegenden Geldfluss und wer clever genug ist, bekommt seinen Teil vom Kuchen ab.Niemand kommt bisher auf die Idee, die in der Vergangenheit prognostizierten Katastrophen und deren Ausbleiben zum Anlass zu nehmen, sich kritisch mit der grundsätzlichen Aufrichtigkeit der Propheten zu befassen, den schnellstmöglich wird eine Sau nach der anderen durchs Dorf gejagt.Es lebe die Katastrophe. Der Kern aller Diskussionen wird allerdings vornehm verschwiegen. Die Frage, was denn wäre, wenn der Mensch nicht auf Erden existieren würde, wird derzeit nur von ökologischen Extremisten diskutiert. Aber das wird sich sicher auch noch ändern. Schließlich ist es die menschliche Existenz an sich, die der zentrale Grund allen Übels ist.
onkel.ulli sagt: 12. Januar 2009 um 14:22
Es wird immer Menschen geben, die sich als Hütchenspieler für die ganzen Springers, Jahrs, Bertelsmänner und Mohns prostituieren. Laßt uns einander helfen, wie es dieser blog tut, sie einfach frühzeitig zu erkennen.Viele Grüße und weiter so
Phil sagt: 12. Januar 2009 um 15:12
Ich habe die Seite auch erst vor kurzem entdeckt und ich finde es sehr gut, dass es nun auch etwas Äquivalentes zum Bildblog für den SPIEGEL gibt. Vor allem dass die Artikel hier nicht nur auf Recherchefehler, sondern auch auf “moralische Missstände” aufmerksam machen.
Gerade in einer Zeit, in der der Spiegel mit seinem Portal SpiegelONLINE mit einer Besucherzahl von mehr als 1 Milliarde im vergangenen Jahr den Markt der Online-Nachrichtenportale deutlich dominiert ( http://bitkom.de/56262_56258.aspx ) sollte man den Herren sehr genau auf die Finger schauen!
Robert sagt: 13. Januar 2009 um 19:27
Sehr schöner Artikel. Auch dem Kommentar von Dirk kann man nur beipflichten. Das Problem, welches er beschreibt, ist wohl auch die Aussage, welche Thea Dorn versucht hat zu vermitteln. ‘Sich dort keine Angst machen lassen, wo keine Gefahr droht’. Allerdings kann ich das nicht wirklich wissen, da ich ihren Artikel nicht gelesen habe. Will ich auch nicht, ehrlich gesagt. Meinem Verständnis und Anforderung von Seriosität wird er schon lange nicht mehr gerecht, aber das nur am Rande.
Wichtig ist mir hier zu sagen, dass die Menschheit meiner Meinung nach am Ende der derzeitigen Entwicklungsstufe angelangt ist, basierend auf die derzeitigen materiellen Wertvorstellungen (sehr schwamig, ich weiß, für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung). Wir benötigen ein gewaltiges Umdenken auf diesem Gebiet, um uns weiter zu entwickeln.
SPIEGELblog sagt: 13. Januar 2009 um 22:07
Der Link zum Artikel von Thea Dorn ist jetzt auch im Blog-Beitrag drin (hatte ich vergessen einzufügen). Danke für den Hinweis.
Torsten EngelbrechtSPIEGELblog
tela sagt: 14. Januar 2009 um 10:09
Ich stimme Roberts Kommentar absolut zu. Wir benötigen ein Umdenken, was unsere Wertvorstellungen angeht. Das Problem dabei ist, dass wir in dem Bereich keine intellektuelle Unterstützung bekommen. Die Wirtschaft, die Politik, die ganze Finanz- und Konsumwelt versucht uns täglich klar zu machen, dass wir mehr konsumieren müssen, weil wir Wachstum brauchen. Unser Fortschritt ist leider aus Sand gebaut und wir erleben teilweise schon die Konsequenzen davon.
Ich frage mich, wie ein Umdenken stattfinden soll, wenn solche Beiträge wie der von Thea Dorn oder über 25 Jahre RTL eine breite Öffentlichkeit (im Spiegel) finden. Ich möchte nicht pessimistisch sein, aber manchmal sehe ich schwarz!
Immerhin gibt es jetzt SPIEGELblog! Das ist schon mal ein Anfang Richtung Aufklärung mit gutem Journalismus.
SPIEGELblog sagt: 15. Januar 2009 um 10:05
Hallo Dirk,
danke für Ihre Ausführungen. Wir sehen es so wie Sie, dass mit Ängsten oft Politik und Geld gemacht wird. Ängste und Feindbilder sind ein wichtiges Vehikel für die Mächtigen, um ihre Macht zu sichern. Doch wir denken auch, dass man differenzieren bzw. ganz genau schauen sollte, wer jeweils dahinter steckt und welche Interessen verfolgt werden.
Thea Dorn differenziert eben nicht und übertreibt total, indem sie pauschal alle in einen Topf wirft und dann diesem Topf das Etikett “atemberaubend unverantwortlicher” Weltuntergangsprophetitis” anheftet - was aber faktisch nicht haltbar ist, denn bei weitem nicht für alle Personen bzw. Gruppierungen kann dies auch nur annähernd genau so gesagt werden. So gibt es, wie erwähnt, durchaus viele Warnungen, die absolut berechtigt waren/sind und tragischerweise nicht erhört wurden/werden (Warnung vor dem Dritten Reich, Warnung vor dem Crash, Warnung vor Hunger etc.).
Denken Sie nicht auch, dass z.B. das Phänomen, dass die (von Dorn ebenfalls erwähnte) Vogelgrippe von der Pharmaindustrie, der Politik und den Medien zur drohenden Pandemie aufgebauscht wurde, anders einzuschätzen ist als z.B. der Einsatz von Menschen für eine Erde ohne Hunger? Und was, wenn wir doch noch nicht das Ende der Finanzkrise gesehen haben, was zumindest einige harte Fakten nicht unwahrscheinlich escheinen lassen (z.B. US-Haushaltsdefizit), und es daher für viele Menschen noch schlimmer kommt als ohnehin schon - können wir dann immer noch, wie es Dorn getan hat, sagen, dass NYT-Kolumnist Friedman ein “atemberaubend unverantwortlicher”, ja “apokalyptischer Harlekin” war, weil er Menschen in Restaurants zum Sparen riet?
SPIEGELblog-Team
stella sagt: 15. Januar 2009 um 10:12
Thea Dorn soll sich diese Teile der Erde mal anschauen:http://www.theplaceswelive.com/Wenn sie zurück ist, möchte ich gerne wissen, ob sie in der Lage wäre, so einen peinlichen Artikel zu schreiben! Sie soll sich einfach lieber engagieren und zu denen zählen, die sie in ihrem Essay kritisiert!
Ich danke SPIEGELblog für den guten Beitrag!
Marc sagt: 15. Januar 2009 um 18:32
Ich fand den Essay sehr erfrischend. Mir hat Frau Dorn aus dem Herzen gesprochen. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich generell ein sehr optimistischer Mensch bin und mit Mahnern und Weltverbesserern schon immer herzlich wenig anfangen konnte.
ilia Papa sagt: 23. Januar 2009 um 04:27
@ alle. Nun, ich bin so ein ‘Apokalyptiker’, ‘Weltuntergangs’-Prophet, wie auch einer der bösen, bösen ‘Weltverbesserer’ und ‘Mahner’. Und, jetzt?
… Allerdings gehöre ich nicht zu all diesen ‘PROFI-Leuten’, die wie die so genannten ‘etablierten’ Medien ANGSTMACHER par excelance sind - und damit ihr täglich Brot verdienen. MÜSSEN! Weil nur bad news good news bei den TV-Quoten und bei all dem Betroffenheits-Heucheln sind. Immer in die Richtung, die grade ‘nachgefragt’ ist. Gegen Cash!
Ich habe da aber etwas Phänomenales entdeckt, das viele wissen sollten, um eine JETZT-Welt-Lage und all ihre Hintergründe kennen zu lernen, die sich dei meisten Sesselpupser wohl in 1000 Jahren würden nicht träumen lassen, daß sie total echt und vollkommen real sind.
Wenn ich mir also ‘Sachdarstellungen’ einer Thea Dorn - Thea kommt aus dem Griechischen und bedeutet ‘Göttin’, Frau Dorn ist demnach wohl ein ‘Göttlicher Dorn’ im eigenen Auge - einverleiben darf, dann doch mit der Freude, daß es immer noch Leute gibt, die trotz aller Bedrohung durch die vielfältigsten ABC-Waffen und all dem anderen Bösen der Welt tönen:
‘Liebe Leute. Leser macht euch keine Sorgen, sterben müssen wir alle mal!Finanz-, Weltwirtschaftskrise, hoch schnellende Arbeitslosen- und damit Existenzzerstörungs-Zahlen? Kein Problem! Die hatten wir doch in der Geschichte schon sooo oft - und alle HEIL überwunden, 1. Weltkrieg, 2. WK, laßt euch überraschen was diese Krise überraschend bringt! Hurra!’
Nun ja, … es ist einfach unglaublich erbaulich so viel geballte Intelligenz, Großmut und Ignoranz auf so kleinem Raum lesen zu können, wie in dem SPIEGEL-Artikel von Frau Dorn … Wo ist also die Lösung, Frau ‘Göttin’ des eiligen Dorn’s?
Ahja: Auch auf einer rosaroten Wolke fernab aller Realitäten läßt es sich in einem 3. Weltkrieg, am liebsten mit ABC-Waffen geführt, vortrefflich in der breiten Masse sterben - und darüber schriftlich parlieren! Suppa!
Schreiben Sie doch mal einen Artikel mit der Überschrift ‘Die Lebenden werden die Toten beneiden, Jucheee!’ Beim inhaltlichen Texten wird einer Göttin Dorn sicherlich blumig gefaß einfallen, welches die Vorteile von ein Leben lang tot sein, gegenüber einem Leben mit voll offenen Augen sind.
Lg - ilia Papa
P.S. Waren Sie auch schon mal ‘embedded’ voll in einem Krieg?? So toll mitten drin beim Kinder- und was weiß ich noch alles bloß Abschlachten und in die Luft sprengen, statt ‘… nur mal ein wenig dabei’? Oh, mir wird so übel!







05.01.2009

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ESSAY
Lust an der Apokalypse
Von Thea Dorn
Was hinter der Katastrophenrhetorik steckt.


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Traditionell überlassen wir den Part des Propheten, der durch unsere unwirtlichen Städte wandert und die Menschen lautstark zur Umkehr mahnt, dem kleinen Kreis bibelfester Obdachloser. Doch seit die Finanzkrise Banken gesprengt und die Automobilindustrie ins Stottern gebracht hat, sind auch die gebildeten Stände von einer aggressiven Prophetitis befallen. Nun treibt auch sie das Bedürfnis um, das Ende der "großen Hure Babylon" zu verkünden. So war von Thomas Friedman, einem der prominentesten Kolumnisten der "New York Times", zum Jahresende 2008 zu lesen: "In letzter Zeit gehe ich in Restaurants, schaue mich an den Tischen um, an denen es immer noch von jungen Leuten wimmelt, und ich habe dieses Bedürfnis, von Tisch zu Tisch zu gehen und zu sagen: ,Sie kennen mich nicht, aber ich muss Ihnen sagen, Sie sollten hier nicht sein. Sie sollten Ihr Geld sparen. Sie sollten Ihren Thunfisch zu Hause essen. Diese Finanzkrise ist bei weitem noch nicht vorbei. Wir sind nur am Ende des Anfangs. Bitte lassen Sie sich Ihr Steak einpacken, und gehen Sie nach Hause.'"

AP
Endzeitphantasie im Film "The Day After Tomorrow" (2004)
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete darüber, und anstatt zu fragen, ob es nicht atemberaubend unverantwortlich ist, wenn ein einflussreicher Wirtschaftsfeuilletonist den apokalyptischen Harlekin gibt, sinnierte der Herausgeber Frank Schirrmacher über "die Evolution einer Krise, deren Dramatik buchstäblich mit jeder Woche neue rhetorische Maßnahmen verlangt". Ein herzloser Tropf, wer im Angesicht der Krise als Erstes an politische und ökonomische Maßnahmen denkt.
DER SPIEGEL 2/2009
TITELObamas bester MannEin Präsidentenpaar und seine Vision von einer besseren Welt
Inhalt
Vorabmeldungen
English Texts
AbonnementNun ist der Schwanengesang, das Hohelied vom baldigen Ende der Menschheit, beileibe keine Erfindung unserer Tage. Die Bibel ist gerade mal sieben Kapitel alt, schon schickt der Herr die Sintflut, auch im Gilgamesch-Epos bestellen die Götter den großen Regen, während die Edda eher auf den Weltenbrand setzt. Die Menschen des Mittelalters waren alle naslang sicher, von einem Kometen oder der Pest kollektiv ausgelöscht zu werden. Auch das 20. Jahrhundert begann - noch vor der realen Katastrophe des Ersten Weltkriegs - mit der fiebrigen Erwartung des Halleyschen Kometen. Kaum hatte man den nationalsozialistischen Terror hinter sich gelassen, erhitzte die Angst vor dem Atomtod die Gemüter bis an den Rand der Kernschmelze. In den Siebzigern entdeckte der Club of Rome die Ökologie als weites Feld für Untergänge. Und die Achtziger bescherten uns die spezifisch deutsche Spielart dieser Angst: das Waldsterben.
Es ist also nichts Neues, wenn in unseren Tagen wahlweise die Vogelgrippe, der Millennium-Bug, die demografische Entwicklung, die Erderwärmung oder aktuell die Wirtschaftskrise als Reiter der Apokalypse besungen werden. Das Geschäft mit der Angst dürfte das in Wahrheit älteste Gewerbe der Welt sein. Neu ist allerdings, dass sich die Apokalypsen in immer rasanterem Wechsel ablösen. So wie Starbucks uns jeden Monat mit einem anderen "Coffee Highlight" bei Laune hält, kredenzen uns die Massenmedien mittlerweile den Untergang des Monats. Nicht die "Evolution der Krise" verlangt jede Woche nach "neuen rhetorischen Maßnahmen". Presseorgane tun es, bei denen der Lautstärkeregler offensichtlich nur in eine Richtung zu drehen ist.
ZUR PERSON
Thea Dorn, 38, lebt als Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin in Berlin. Zuletzt erschien von ihr "Mädchenmörder. Ein Liebesroman". "Es gibt Leute, die sich über den Weltuntergang trösten würden, wenn sie ihn nur vorhergesagt hätten", notiert Friedrich Hebbel 1845 in seinem Tagebuch. Und Friedrich Sieburg schreibt gut hundert Jahre später: "Ein wesentlicher Reiz unserer Zivilisation besteht in der Reichhaltigkeit der Palette, mit der wir die Menschheit malen, wie sie dem Grabe zuwankt. Man muss auch eine Sache, von der man nichts weiß, zu Ende denken können."
Doch Sieburg spottet nicht nur, er bietet auch eine Erklärung an für "die Lust am Untergang", die er als Lebensgefühl selbst in der aufstrebenden Wirtschaftswunder-Bundesrepublik allenthalben diagnostiziert: "Der Alltag der Demokratie mit seinen tristen Problemen ist langweilig, aber die bevorstehenden Katastrophen sind hochinteressant ... Wenn wir schon mit unserem Dasein nichts Rechtes mehr anzufangen wissen, dann wollen wir wenigstens am Ende einer weltgeschichtlichen Periode stehen. Richtig zu leben ist schwer, aber zum Untergang reicht es allemal."
Spricht also tatsächlich der Freudsche Todestrieb aus uns, "das wunderbare Sehnen dem Abgrund zu", wie Hölderlin es nannte? Auf den ersten Blick erscheint die Annahme absurd. Denn unsere Endzeitverkünder sind weit davon entfernt, wie Wotan in Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" zu donnern: "Nur Eines will ich noch: / das Ende - / das Ende! -"
In einem Punkt sind sich Wotan und die heutigen Apokalyptiker jedoch frappierend einig: Die Welt hat sich in eine grundverkehrte Richtung entwickelt und hätte es dafür verdient unterzugehen. Wie der Wagner-Gott sein gesamtes zivilisatorisches Werk als "herrische Pracht, göttlichen Prunkes prahlende Schmach" verflucht, geißeln auch unsere zürnenden Zeitgenossen den Way of Life, entlarven das fundamental Verheerende an unseren individualistisch-kapitalistischen Gesellschaften. Zweifel und moderate Töne sind ausgeschlossen.
In der Bundesrepublik wird schon länger solide und begeistert Katastrophenarbeit geleistet. Von sich rächenden Urgewalten weiß der Schriftsteller und Öko-Aktivist Carl Amery bereits in den achtziger Jahren zu berichten: "Das Waldsterben", schreibt er, "ist der untrüglich einsetzende Versuch der Gaia, d. h. des Lebewesens Erde, sich durch eine gewaltige Operation einer misslungenen Spezies zu entledigen ... Es erfordert die totale Revision unserer sogenannten Werte. Darunter läuft nichts mehr."
Philosophisch anspruchsvoller, aber nicht weniger "total" formuliert taucht der Gedanke des "darunter läuft nichts mehr" schon gut zwanzig Jahre früher in Karl Jaspers' Schrift "Die Atombombe und die Zukunft des Menschen" auf: "Vor der Drohung totaler Vernichtung sind wir zur Besinnung auf den Sinn unseres Daseins zurückgeworfen. Die Möglichkeit der totalen Zerstörung fordert unsere ganze innere Wirklichkeit heraus."
Hinter der Katastrophenrhetorik steckt die Sehnsucht: Der Mensch möge zur radikalen Umkehr finden. Deshalb reicht es auch nicht, die krisenhaften Exzesse unserer Lebensform zu benennen und nach konkreten, pragmatischen Auswegen zu suchen. Krisen sind von dieser Welt, gehören zur normalen Entwicklung der menschlichen Geschäfte. Katastrophen jedoch sind Ereignisse, die den Lauf der Dinge jäh unterbrechen, Eruptionen, die das Kontinuum sprengen, die Geschichte in eine andere Richtung zu reißen vermögen. Krisen machen das Leben auf unspektakuläre Weise anstrengend, weil sie die mühsame, sorgfältige Kleinarbeit der Nachbesserung und Feinjustierung erfordern. Katastrophen hingegen sind Zeiten der großen Geste. Die Katastrophe rüttelt das saturierte Individuum auf. Und gleichzeitig erlaubt sie ihm, sich zum Retter aufzuschwingen.
Niemand spielt die Rolle des erschütterten Erschütterers derzeit so gut wie Al Gore. Es ist mehr als eine menschelnde Zutat, wenn der Mann, der sich zu Beginn des Films "Eine unbequeme Wahrheit" mit dem Satz "Ich war früher mal der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika" vorstellt, später erzählt, wie seine Wendung zum Klimaretter geschah: Sein sechsjähriger Sohn rang nach einem Autounfall wochenlang mit dem Tod. Die private Katastrophe als Bekehrungserlebnis. Und gleichzeitig gibt der Friedensnobelpreisträger von 2007 halb selbstironisch zu, dass sein globaler Ökokreuzzug eine schöne Ablenkung von der Enttäuschung ist, das Präsidentenamt im Jahr 2000 so knapp verpasst zu haben. Selten lagen Ego-Show und Weltrettungsgestus dichter beieinander.
Seit ihren Anfängen zielt die Warnung vorm Weltuntergang darauf ab, die Menschheit in ihrem Größenwahn zu zügeln, sie daran zu erinnern, dass es Mächte gibt, die größer sind als sie selbst. Doch schlägt die vom Endzeitraben grell vorgetragene Mahnung zur großen Ein- und Umkehr nicht selbst in Hybris um, wenn sie sich dazu aufschwingt, unsere Gesellschaft insgesamt abzukanzeln und ihr deshalb die "totale Revision" zu verordnen? Steckt in dem Ekel, den unsere Apokalyptiker angesichts des alltäglichen Lebens offenbar empfinden, nicht doch etwas Lebensfeindliches, dem Freudschen Todestrieb Verwandtes?
Um Himmels willen, nein!, würden die guten Menschen von ihren Klima-, Demografie- und Live-8-Gipfeln herab rufen. Wir mahnen und rütteln doch gerade, weil wir das Leben lieben, die Menschheit retten, der nächsten Generation eine nicht verwüstete Erde hinterlassen wollen. Unser Ekel ist nicht der Ekel vor dem Leben als solchem, sondern der Ekel vor dem falschen, kapitalistischen, ausbeuterischen, entfremdeten, oberflächlichen, egoistischen Leben, wie wir es in den westlichen Gesellschaften führen. Aber warum machen sich unsere Apokalyptiker auf dem wohlwollenden Auge blind, warum sehen sie nur die gierigen Manager, die (noch) nicht beseitigte Armut, den Konsumismus, die billige Plastikkultur? Und nicht die verantwortungsvollen Unternehmer, die verbesserten Lebensbedingungen auch für die ärmeren Schichten, die Museen und Opernhäuser, die Naturschutzparks, die unsere angeblich so durch und durch verrottete Zivilisation ebenso hervorgebracht hat?
"Die ganze Richtung passt mir nicht." Der Spruch, den Kaiser Wilhelm II. getätigt haben soll, ziert auch die Wappen unserer unbarmherzigen Levitenleser. Aber was wäre die Richtung, die besser passte?
Den deutlichsten Aufschluss über die Hoffnungen der Endzeitverkünder gibt das Katastrophenkino à la "The Day after Tomorrow": Geschiedene Väter, die es am Vortag der Katastrophe noch nicht einmal fertiggebracht haben, ihren Sohn pünktlich zum Flughafen zu fahren, marschieren zu Fuß durch die plötzlich hereingebrochene Eiszeit, um ebenjenen Sohn aus einem in Eis und Schnee versunkenen New York herauszuholen. Penner und Millionärssöhnchen, die sich eben noch feindlich fremd aus dem Weg gingen, teilen sich den letzten Pullover.
Wem dies zu trivial erscheint, der möge bei Heinrich von Kleist nachlesen, in "Das Erdbeben in Chili" (1807). Der düstre Dichter ergeht sich ebenfalls in Schilderungen des klassenlosen, von Nächstenliebe durchströmten Idylls im Windschatten der Naturkatastrophe, auch seinem Protagonisten will es - wenigstens vorübergehend - so scheinen, "als ob das allgemeine Unglück alles, was ihm entronnen war, zu einer Familie gemacht hätte". Muss man so extreme Erfahrungen wie die Auschwitz-Überlebende Ruth Klüger gemacht haben, um zu erkennen, dass die Vorstellung, besonders großes Leid würde besonders humanisierend wirken, ebenso rührseliger wie fataler Kitsch ist?
Die Menschheit wird sich von dem schlechten Gewissen, das sie plagt, seit Prometheus den Göttern das Feuer geklaut und Eva und Adam vom Baum der Erkenntnis gekostet haben, nicht befreien, indem sie alle fünf Minuten den nächsten Weltuntergang herbeiphantasiert und dabei doch nur heimlich hofft, den Schleichweg zurück ins Paradies zu finden. Alle Wege dorthin sind verbaut. Und deshalb wird die Menschheit auch keine gerechteren Gesellschaften kreieren, indem sie an der Utopie festhält, Frieden herrsche erst dann, wenn alle Konflikte, Gegensätze und Widersprüchlichkeiten ausgemerzt, alle Zersplitterungen in einer großen Weltumarmung gekittet sind. Der Mensch ist aus krummem Holz gemacht. Jeder Versuch, aus ihm etwas gänzlich Gerades zu zimmern, hat bislang nur einen Ort erschaffen: die Hölle auf Erden.



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