Samstag, 27. Dezember 2008

USA and the smoking Gun, das Mörder-Paradies für Waffenfanatiker

Wo Waffen wie Haustiere gehalten werden

Amerika ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dort kann jeder alles werden. Und jeder, absolut jeder, darf eine Waffe besitzen. Ein neuer Bildband zeigt Waffennarren mit ihren Schätzen. Er dokumentiert verschreckte Zeitgenossen mit Schnellfeuergewehren. Wohnen möchte man in ihrer Nähe allerdings nicht.
Die meisten tragen dasselbe Lächeln, das sie für ihr College-Jahrbuch und auf ihrem Hochzeitsfoto trugen. Stolz, selbstgewiß, milde glücklich posieren sie in ihren Wohnzimmern, Hunde und Katzen zu ihren Füßen, und umarmen und liebkosen und betten ihre Waffen vorsichtig wie Babys.
Es sind Punks und Pensionäre, Köche und Polizisten, Weiße und Schwarze, Juden, Christen und ein Buddhist, Einzelgänger mit Arsenalen von Schnellfeuergewehren, Paare und Großfamilien, die ihre Schießeisen wie die Modelleisenbahn, ihren liebsten Spielkameraden oder das neue Haustier vorzeigen.
Der Fotograph Kyle Cassidy hat für seinen Band "Bewaffnetes Amerika. Waffenbesitzer und ihr Zuhause im Porträt" ins Herz der bewehrten Bürger gezielt. Und hat hundert Mal besser getroffen als es die meisten gut gemeinten, anklagenden Essays über das waffenvernarrte Amerika vermögen. Aus den Bildern spricht die libidinöse, verspielte Normalität der Waffenkultur, nicht die groteske Gewaltanbetung aus den amerikanischen Action-Filmen und Kriegsepen.

Liebenswerte Zeitgenossen mit Schnellfeuergewehren
Man sieht nette, friedfertige Menschen, denen man trauen würde, servierten sie uns Kaffee, sähen wir sie in einem Hörsaal, träfen wir sie in einer Rentnergruppe an einem Pool in Florida. Wehe, wir näherten uns uneingeladen ihren Häusern, die sie wie Burgen zu verteidigen bereit sind. Unterwürfiges Gebaren, erhobene Hände wären zu empfehlen.
Der Fotograf muß das Vertrauen dieser Menschen gewonnen haben, indem er ihnen zweierlei versprach: Er würde ihnen die Pose, die Anzahl ihrer Waffen und den Bildausschnitt in ihren Häusern und Wohnungen überlassen. Und, noch wichtiger, er würde getreulich die technischen Kenndaten der Waffen auflisten neben unkommentierten Auszügen aus ihren Erklärungen, warum sie Waffen tragen. Er wolle ehrliche amerikanische Kalenderblätter mit Pistolen und Gewehren, Trophäen-Bilder wie mit erlegtem Wild, muß Kyle Cassidy sinngemäß gesagt haben. Keine Dämonisierung, kein "Bowling for Columbine", keine Herablassung.
Er war sich sicher, daß die Fotos für sich selbst sprechen würden. Er irrte nicht.
In Amerika hat statistisch gesehen fast jeder Bürger eine Waffe
Nun muß man sich, um nicht zu treuherzig auf all die arglosen Amerikaner mit ihrem Spielzeug zu schauen, etwas Statistik verabreichen. In den Vereinigten Staaten mit seinen knapp 300 Millionen Einwohnern sind 270 Millionen Schußwaffen im Umlauf. 90 von 100 Personen tragen sie (gegenüber 61/100 im Jemen, dem zweitplazierten; 30/100 in Deutschland).
Im Jahr 2005 starben in den USA 30.694 Menschen einen gewaltsamen Tod durch Kugeln, Morde, Selbstmorde, Unfälle eingeschlossen. Kinder erschießen einander beim Spielen zu Hause mit geladenen Revolvern; Kauflustige werden von Amokläufern beim Einkaufen in der Mall erschossen, Studenten in ihren Seminaren, Kids in Kindergärten, Kollegen in Büros. Das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, darf laut dem zweiten Zusatzartikel der Verfassung nicht eingeschränkt werden:
"Weil eine gut organisierte Miliz für die Sicherheit eines Staates notwendig ist."
Was als Souveränitätsgarantie für die Einzelstaaten gegen eine verdächtige Zentralmacht in Washington formuliert war, wurde über zwei Jahrhunderte Gewohnheitsrecht und Rechtsprechung zum Recht jedes Bürgers, sich zu bewaffnen. Jeder ist eine Miliz, jeder ist sein eigener Rambo. Natürlich beharrt die "National Rifle Association" ("Nationale Schußwaffenvereinigung") darauf, daß nicht Waffen töten, sondern Menschen: "Bad guys", die sich ohnehin nicht an strengere Waffengesetze halten würden. Entwaffnet und entrechtet würden dadurch nur die "Good guys", die ihre Waffe nur in Notwehr einsetzen.
1871 wurde diese größte Vereinigung von Waffenlobbyisten in den USA gegründet, um die mangelnde Treffsicherheit, die im Bürgerkrieg auffällig geworden war, zu erhöhen. Drei Millionen Mitglieder sichern ihre gewaltige Macht in Washington. Jeder einzelne Staat hat seine eigenen mehr oder minder liberalen Waffengesetze. Jeder Versuch, den Amerikanern per Gesetz ihre Revolver, Pump-Guns, M-16 und Kalaschnikows (AK-47) zu entwinden oder es schwerer zu machen, sie zu erwerben, hat so viel Aussicht wie den Deutschen die Haltung bissiger Hunde zu verbieten.
Waffen spielen in vielen Familien die Rolle von Haustieren
Im Tschetschenien-Krieg rissen russische Soldaten jungen Burschen an den Straßensperren routinemäßig die Pullover über den Kopf, um die Schulterpartie zu kontrollieren: Wer dort Blutergüsse hatte, wie Ungeübte sie vom Rückstoß der Waffe bei Dauerfeuer davontragen, wurde als Partisan (übel) behandelt.
Die Waffenbesitzer in Kyle Cassidys über 200 Seiten starken Bildband zeigen weder ihre blauen Flecken von ihren Schießübungen noch drohende Haltung. Viele erzählen, daß sie in Familien auf dem Land mit Waffen aufgewachsen und mit ihnen vertraut seien wie mit Haustieren. Oft paßten sich die Frauen dem Faible ihres Mannes an und wurden begeisterte Hobby-Schützen, wenngleich eher am Schießstand als auf Fasan- und Enten-Jagden in der Wildnis. Man geht mit Freunden aus, um mit Kugeln auf Scheiben zu schießen statt Kugeln auf Kegel zu schieben. Kein anderer Begriff fällt so oft wie "gottgegebenes Recht". Der Allmächtige ist Amerikas vornehmster Waffenbruder.
Bill und Christy (mit der gähnenden Hündin Daisy) lächeln neben ihren "Marlin 1895 MR-.450 Marlin, Ruger Vaquero-.44-40 cal" in Wisconsin in die Kamera. Und Bill erklärt als erster in dem Bildband, worum es geht:
"Indem man das Recht des zweiten Zusatzartikels wahrnimmt, garantiert man zukünftigen Generationen das Recht auf Selbstverteidigung und auf Widerstand gegen eine möglicherweise unrechtmäßige Regierung. Wenn wir das Recht auf Waffenbesitz aufgeben, wird die gesamte ‚Bill of Rights‘ ganz schnell den Bach runtergehen. Meiner Meinung nach hätte der zweite Zusatzartikel auch an erster Stelle (Redefreiheit) stehen können."

Robert – mit Katze Dobro – in Oregon zitiert Colonel Jeff Cooper:
"Greift euch ein Gewehr, und ihr verwandelt euch auf der Stelle von einem Untertanen in einen Bürger."
Ochressandro trägt Glatze zum schwarze Muskelhemd mit dem Aufdruck "Vertrauen in den Staat verstößt gegen die Ge-schichte und die Vernunft" und dazu seine Romarm SSg-97 (PSL):
"Ich habe dem Sozialismus lebenslange Feindschaft geschworen.
Ich habe ,Archipel Gulag’ gelesen und werde nicht kampflos zusehen, wie sich so etwas hier wiederholt."
"Wir werden einem Völkermord in Amerika nicht tatenlos zusehen"
Das staatsfeindliche Sentiment wird von Ry in Washington paranoid auf die Spitze getrieben. Er sitzt, umgeben von ausgestreuter Munition, dick und gemütlich auf seinem Teppich; hinter ihm lehnt schwarz seine Bushmaster XM15 E25 2006 SEBR. Er besitze eine Waffe, sagt Ry, "weil es ein entwaffnetes Volk erfordert, um einen Völkermord zu begehen. Mir wird das nicht zustoßen. Ich werde nicht bei so etwas tatenlos zusehen."
Ry trifft sich auf gruselige Weise mit Kevin in Kentucky:
"Als jüdischer Amerikaner ist mir bewußt, daß sechs Millionen Menschen meines Volkes in den dreißiger und vierziger Jahren in Rußpartikel verwandelt wurden.
Als Verfechter der Bürgerrechte weiß ich, daß Worte ab einem bestimmten Punkt nicht genügen werden, wenn jemand deine Tür eintritt und dich aus deinem Haus zerrt, weil du jüdisch, schwarz oder schwul bist.
Man kann nicht für die Bürgerrechte eintreten, ohne für Waffen zu sein."

Auch Michael in Florida mit Kater "General Beauregard", Tochter Lyberty und vier Gewehren erinnert an seine jüdischen Ahnen und glaubt, daß der Holocaust vielleicht nie geschehen wäre, wenn die Juden bewaffnet gewesen wären.
Ein ums andere Mal, eloquent oder tumb herausgeblafft, argumentieren diese Amerikaner unter Waffen, sie müßten sich gegen äußere Feinde wie gegen eine tyrannische Regierung in Washington wappnen, die sie offenbar, und in erstaunlich großer Zahl, für möglich halten.
Abgesehen davon, daß ein Gewehr auf einem einsamen Gehöft in Kansas mehr Sinn ergibt als in einem Ein-Zimmer-Apartment in Brooklyn, abgesehen von all den Exzessen des Waffen-Fetischismus und kranken Machismo, von Gangster-Rappern wie Ex-Marines, die mit Waffen offenkundig ihr Geschlechtsteil verlängern – man sollte das Notwehrargument zu verstehen versuchen.
Es zählt zu den Grunderfahrungen der kollektiven amerikanischen Psyche, daß Freiheit errungen werden muß, nie gegeben wird und jederzeit genommen werden kann. Im Verdacht steht jeder. Der Einbrecher in der Nacht wie der Präsident im Weißen Haus.
Kyle Cassidy: Bewaffnetes Amerika. Waffenbesitzer und ihr Zuhause im Porträt, 112 Seiten, 100 farbige Abbildungen, 19,90 EUR, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag – www.schwarzkopf-schwarzkopf.de

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