Sonntag, 18. Januar 2009

Ypsilanti ade, KOCH kocht wieder Jucheee ...

Das ganz große Desaster von Ypsilantis SPD

dpa
Andrea Ypsilanti tritt zurück.
Die SPD hat ein desaströses Wahlergebnis eingefahren und damit auch dem Kanzlerkandidaten Steinmeier den Auftakt des Superwahljahrs gründlich vermiest. Ypsilantis Rücktritt war da nur konsequent. Trotzdem zeigte sie in ihrer Rede erneut vor allem eines – ihre Weigerung Realitäten anzuerkennen.
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Um 18.18 Uhr kam der Moment, den viele in der SPD erwartet und die meisten von ihnen erhofft hatten. Da hatte sich Andrea Ypsilanti – wie am Wahlabend vor knapp einem Jahr – ihren Weg durch die Menge gebahnt. Im Fraktionssaal der Sozialdemokraten stellte sich die bisherige Landes- und Fraktionsvorsitzende auf, neben ihr Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel und ihre beiden Vertrauten Norbert Schmitt und Gernot Grumbach.
„Ich resigniere nicht“ leitete Ypsilanti die Passage ihrer kurzen Ansprache ein, in der sie wenige Sekunden später ihren Rücktritt von beiden Ämtern ankündigte und für Schäfer-Gümbel als Nachfolger plädierte. Ein wenig Trotz war also wieder im Spiel, wie so oft bei Ypsilanti. Bei der letzten Landtagswahl im Januar 2008 hatte sie als Spitzenkandidatin für ihre Partei Stimmgewinne verbucht, landete damals doch immer noch knapp hinter der CDU. Seither aber gerierte sich Ypsilanti als „Wahlsiegerin“, während sie Roland Koch einen „Verlierer“ nannte.
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Diese Hartnäckigkeit, diese Weigerung, Realitäten zu Kenntnis zu nehmen, präsentierte Ypsilanti bei ihrem Auftritt abermals. Die schwere Niederlage ihrer Partei – das schlechteste Ergebnis bei einer hessischen Landtagswahl – führte sie an erster Stelle zurück auf die Tatsache, dass die von ihr angestrebte Koalition im November „keine parlamentarische Mehrheit bekommen hat“. Darüber seien die Menschen enttäuscht, und nur beiläufig erwähnte Ypsilanti, für einige gelte dies auch hinsichtlich ihres „Weges zur Minderheitsregierung“.Den Begriff des „Wortbruchs“ führt Ypsilanti noch immer nicht im Mund. Anders als der Mann, der künftig das Gesicht der hessischen SPD prägen wird: Thorsten Schäfer-Gümbel. Der sprach von einer „Denkzettel-Wahl“, nannte aber als Grund an erster Stelle, den Weg, den seine Partei eingeschlagen habe und erst an zweiter Stelle, „dass wir es (gemeint war die rot-grüne Minderheitsregierung unter Tolerierung durch die Partei Die Linke) nicht hinbekommen haben“.
Schäfer-Gümbel also setzt andere Akzente; schon in den vergangenen Wochen hatte er sich durchaus selbstkritisch geäußert. Nun steht „TSG“, wie er in der SPD genannt wird, vor der schweren Aufgabe, die Partei neu aufzubauen. Gut möglich, dass der SPD-Linke künftig mit einem „Parteirechten“ das Amt des Generalsekretärs neu besetzt. Der bisherige Generalsekretär Norbert Schmitt, ein Ypsilanti-Mann, hatte schon im Wahlkampf seinen Rückzug angekündigt. In diesem Kontext fällt nun der Name der jungen Landtagsabgeordneten Nancy Faeser, einer Rechtsanwältin aus dem Main-Taunus-Kreis.
Gewähre ihm eine Fee einen Wunsch, er würde sich noch drei Wochen Wahlkampfzeit wünschen, hatte Schäfer-Gümbel kürzlich gesagt. Drei weitere Wochen – womöglich hätte er noch den einen oder anderen Prozentpunkt zugelegt. Schäfer-Gümbel hat ohnehin einen wahren Senkrechtstart hingelegt: In gut zwei Monaten hat er sich entwickelt vom unbekannten Hinterbänkler, von „Thorsten, wer …?“ mit der komischen Brille zum Medienliebling, zum künftigen Mann in der hessischen SPD.Der 39 Jahre alte Politikwissenschaftler war die Verlegenheitslösung nach dem Debakel um seine Vorgängerin Andrea Ypsilanti – und kämpfte sich doch fröhlich durch einen Wahlkampf, der längst als verloren galt. Der Mann hatte keine Chance, aber er nutzte sie konsequent – nicht zuletzt, um sich von Ypsilanti abzusetzen. Die Schattenfrau wurde er zwar nicht los, doch „TSG“ ließ sich, durchweg macht- und selbstbewusst, zitieren mit dem Satz: „Die Nummer eins bin ich.“
Die Frische, die Selbstironie, die kompetenten Auftritte, mit alldem gewann Schäfer-Gümbel Format. Gar an die Beliebtheitswerte von Amtsinhaber Koch rückte er nah ran. Der Mann ist schon jetzt weitaus bekannter als manch anderer Oppositionsführer in deutschen Landen. „Du bist das Gesicht einer neuen, jungen Generation hier in Hessen“, hatte ihn der Außenminister, SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, noch am Tag vor der Wahl ostentativ gelobt.
Der Wahlausgang erweist sich für Schäfer-Gümbel und seine Partei paradox. Zum einen ist das miserable Abschneiden im einst lange sozialdemokratisch regierten Hessen für die SPD ohne Frage eine herbe Niederlage. Das bislang schlechteste Ergebnis aus dem Jahre 2003 wurde noch einmal klar unterboten. Etliche SPD-Abgeordnete müssen den Landtag verlassen, die Infrastruktur der Partei mit Wahlkreisbüros wird dadurch empfindlich geschwächt. Die Wahl hat daneben dem SPD-Kanzlerkandidaten Steinmeier den Auftakt des Superwahljahrs gründlich vermiest. Die neue SPD-Spitze, also Steinmeier und der Parteivorsitzende Franz Müntefering, hat bislang keine besonders rosige Bilanz aufzuweisen.
Längst aber, reden sich die Genossen in Berlin die Lage schön, sei die erwartete Niederlage „eingepreist“ gewesen. „Denkt dran, das ist nicht das Ende der Welt“, hatte Müntefering drei Tage vor der Wahl den Genossen in Hessen auf einer Veranstaltung zugerufen.
In der SPD verweist man daher auf die Europawahl im Juni sowie die im August stattfindenden Landtagswahlen (Saarland, Sachsen und Thüringen). Bei dem letzten Durchgang all dieser Wahlen – auf dem Höhepunkt der Proteste gegen die Agenda 2010 – hatte die SPD desaströs abgeschnitten; auch daher hofft sie alsbald auf Zugewinne. In der SPD-Spitze herrscht dabei durchweg Zufriedenheit mit dem Agieren Schäfer-Gümbels. Die Niederlage wird nun Ypsilanti in die Schuhe geschoben – wenngleich Schäfer-Gümbel ihren waghalsigen Kurs stets mitgetragen hatte. Müntefering hatte nach der Ausrufung Schäfer-Gümbels sogleich die Solidarität des Willy-Brandt-Hauses versichert. Leid war und ist man hier den Dilettantismus Ypsilantis, ebenso das Hin und Her um Parteiordnungsverfahren und Ausschlussbegehren.
Erst am Sonntag musste der SPD-Ortsverein Wiesbaden-Bierstadt klarstellen, er strenge nun doch kein Parteiordnungsverfahren gegen die frühere Abgeordnete Dagmar Metzger an. Sie hatte sich (mehrere Monate vor ihren drei Fraktionskollegen) einer Wahl Ypsilantis zur Ministerpräsidentin einer rot-grünen Regierung, toleriert von der Partei Die Linke, widersetzt. Gegen die übrigen früheren Parlamentarier Jürgen Walter, Carmen Everts und Silke Tesch laufen weiter Parteiordnungsverfahren.
Zuletzt aktualisiert: Sonntag, 18. Januar 2009, 14:31 Uhr

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